Logo Bildungsland NRW - Bildungsportal
Vater tröstet seinen Sohn der mit dem Kopf auf den Knien neben ihm hockt.

Zeugnis – Was tun bei schlechten Noten?

Ärger und Druck bringen gar nichts - da sind sich die Experten sicher. Welche Maßnahmen sinnvoll sind, erklären Diplom-Pädagoge Detlef Träbert und Schulpsychologe Andreas Heidecke im Interview.

In Mathe eine Fünf, in Latein auch ... Und der Rest der Noten, die auf dem Zeugnis stehen? Sind auch nicht besonders. Dann droht vielen Schülerinnen und Schülern zu Hause Ärger und ganz viel Druck. Doch diese Reaktionen der Eltern bringen gar nichts, im Gegenteil, da sind sich die Experten sicher.

Wie Eltern ihre Kinder in dieser Situation unterstützen können und welche Maßnahmen sinnvoll sind, erklären Diplom-Pädagoge Detlef Träbert und Schulpsychologe Andreas Heidecke im Interview.

von Anja Schimanke

Welche Reaktion löst ein schlechtes Zeugnis bei den meisten Eltern aus?

Detlef Träbert: Viele Eltern reagieren mit Enttäuschung, gepaart mit Vorwürfen und Konsequenzen wie "Das Fußballspielen ist für dich erstmal gestrichen". Mit solchen Maßnahmen sollten Eltern vorsichtig sein, denn es sind ja oft die Bereiche, in denen das Kind außerhalb der Schule noch Erfolgserlebnisse hat. Wenn man ihm diese streicht, hat es nichts mehr, worin es gut ist, und das ist alles andere als motivierend. Und Motivation ist der Schlüssel zum Erfolg!

Der Ärger der Eltern wirkt aufs Kind demotivierend?

Detlef Träbert: Ja, und entmutigend. Eltern, die über ein schlechtes Zeugnis verärgert sind, geben die Botschaft an ihr Kind weiter: "Ich bin unzufrieden mit dir!". Und diese Botschaft beeinträchtigt das Selbstbild des Kindes negativ, denn es erlebt sich als Auslöser von elterlichem Ärger, hat Schuldgefühle und keine Hoffnung auf Erfolg in der Schule. Kinder wollen ihre Eltern nicht wütend machen und enttäuschen. Von Natur aus wollen sie geliebt werden und tun alles, um ihren Eltern zu gefallen, das sollte man am Zeugnistag nicht vergessen!

Eltern dürfen also nicht schimpfen?

Detlef Träbert: Doch, sie können sauer sein und auch laut werden, aber der Ärger darf sich dabei nicht aufs Kind richten und es beleidigen.

Was sollten Eltern noch vermeiden, wenn das Kind ein schlechtes Zeugnis hat?

Detlef Träbert: Druck ausüben und Ultimaten setzen wie "Wenn du dies oder das nicht schaffst, dann ..." - das wirkt sich kontraproduktiv aufs Lernen aus. Denn Druck erzeugt Angst und Angst blockiert das Gehirn. Wenn Eltern ihren Ärger über schlechte Noten kundtun und Druck ausüben, bringen sie ihr Kind in eine ausweglose Situation, denn es hat keine Strategie, wie es da wieder herauskommt. Dadurch werden die Noten nicht besser. Und die Beziehung zwischen Eltern und Kind leidet!

Welche Reaktion der Eltern wäre wünschenswert und richtig?

Andreas Heidecke: Eltern sind gut beraten, wenn sie sich ganz klar als Helfende positionieren. In diesem Fall ist es sinnvoll, sich auf die Zukunft zu konzentrieren und gemeinsam zu überlegen, was man besser machen kann. Eltern sollten ihr Kind ganz konkret fragen: Willst du weiterhin auf diese Schule gehen? Und wie können wir dich dabei unterstützen? Sie sollten nicht diejenigen sein, die fordern, sanktionieren und Kontrolle ausüben - das ist Aufgabe der Schule!

Detlef Träbert: Eltern sollten aus der Perspektive des Kindes denken und sich fragen "Was wünscht sich mein Kind in dieser Situation?" Sie sollten mit ihrem Kind fühlen und sich solidarisch zeigen. Das Kind weiß selbst, dass Eltern auf ein schlechtes Zeugnis nicht freudig reagieren werden.

Bedeutet ein schlechtes Zeugnis, dass das Kind nicht gut genug gelernt hat oder gibt es noch andere Gründe?

Detlef Träbert: Zeugnisse zeigen nur den aktuellen Stand des Kindes an und nicht, wie es sich entwickelt hat, ob es sich angestrengt und Mühe gegeben hat. Die Qualität der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler und das Klassenklima sind entscheidend für den Erfolg. Häufiger Unterrichtsausfall, Vertretungslehrer und auch ein schlechtes Miteinander im Lehrerkollegium können sich negativ auf die Leistung der Schülerinnen und Schüler auswirken - und auch die Pubertät. Schüler, die während der Pubertät hochmotiviert und konzentriert sind, gibt es nur selten. Denn Schule ist in der Phase nicht existenziell wichtig für die Jugendlichen. Es ist ganz normal, dass es in Klasse 7 und 8 zu einem Durchhänger kommt.

Was ist jetzt wichtig, damit das Kind die Lust am Lernen nicht verliert bzw. wieder Lust auf Schule bekommt?

Detlef Träbert: Eltern sollten ihrem Kind beistehen und das im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich bei ihrem Kind sein und zu ihm stehen, aber nicht an seiner Stelle stehen. Sie sollten dem Kind etwas zutrauen und ihm die Eigenverantwortung lassen.

Andreas Heidecke: Geht das Kind aufs Gymnasium, weil seine Eltern das wollen, oder weil es das selbst entschieden hat? Eigenverantwortung und Initiative können Kinder nur entwickeln, wenn sie die Freiheit haben, Probleme selbst zu lösen und Entscheidungen zu treffen und nicht, indem sie das tun, was die Eltern von ihnen verlangen.

Welche Strategie ist jetzt angebracht, damit sich die Schülerin oder der Schüler verbessert?

Detlef Träbert: Es bringt nichts, ein ganzes Schuljahr im Voraus zu planen, welche Noten das Kind auf dem nächsten Zeugnis haben soll. Der Zeitraum ist viel zu lang und nicht überschaubar. Eltern, die sich ernsthaft für ihr Kind und seinen Lernerfolg interessieren, sollten es ermutigen, anspornen und realistische Ziele setzen, die nicht überzogen sind. Denn manche Eltern verlangen in Bezug auf Noten Unmögliches von ihrem Kind. Sie sollten realistisch bleiben und kurzfristige Ziele mit ihrem Kind fixieren, die erreichbar sind: Was willst du innerhalb von 4 Wochen erreichen, was in 8 Wochen und in einem viertel Jahr? Und dann guckt man, welche Erfolge es in der Zeit erzielt hat - das regt seine Lernaktivität an.

Wie sieht es mit Nachhilfe aus?

Andreas Heidecke: Nachhilfe ist eine Vergünstigung und keine Strafe der Eltern! Wenn es Dinge gibt, die das Kind nicht versteht und Hilfe braucht, weil es das alleine nicht bewältigen kann, obwohl es persönlichen Einsatz gezeigt hat, indem es beispielsweise die Hausaufgaben macht, dann kann es seine Lücken durch Nachhilfestunden versuchen zu schließen.

Wie können Eltern ihr Kind beim Lernen unterstützen?

Detlef Träbert: Feste Rahmenbedingungen, die Eltern und Kind zusammen überlegen, sind sinnvoll: An welchen Tagen, zu welcher Zeit lernt das Kind eigenverantwortlich und alleine? Wann möchte das Kind, dass die Eltern dabei sitzen und kontrollieren? Einmal wöchentlich sollte es den Eltern dokumentieren, was es in dieser Woche gemacht hat. Diese Anstrengung des Kindes sollten Eltern loben!

Herr Träbert, Sie sagen, dass viele Eltern nicht loben können und oft nur die Fehler ihrer Kinder sehen. Trifft das auch aufs Zeugnis zu?

Detlef Träbert: Ja, denn nicht alle Fächer sind in den Augen der Eltern wertvoll. Sie erfahren auch nicht, ob sich ihr Kind Mühe gegeben hat, Zeit investiert, Vokabeln gebüffelt und Hausaufgaben gemacht hat. Es gibt Kinder, die sind nicht besonders sprachbegabt und bekommen in Englisch eine Drei oder Vier auf dem Zeugnis, und das kann sehr wohl eine lobenswerte Leistung sein.

Wie sieht es mit Belohnungen für gute Noten aus?

Detlef Träbert: Normalerweise reicht Lob aus. Wenn man seinem Kind eine Belohnung in Aussicht stellen will, dann sollte es eine soziale und keine materielle Belohnung sein. Es mag zwar bequemer sein, einen materiellen Wunsch zu erfüllen, förderlicher ist aber beispielsweise zusammen ins Kino zu gehen, gemeinsam einen Ausflug zu machen oder wenn der Vater mit dem Kind am Wochenende Zelten geht. Die Hauptquelle für schulischen Erfolg liegt im anregenden Milieu der Familie. Der Vater, der im Sessel sitzt und Champions League guckt und seinem Sohn sagt: "Du könntest auch mal wieder draußen kicken!" wirkt weder sehr authentisch noch motivierend auf sein Kind.

Sollten Schülerinnen und Schüler mit einem schlechten Zeugnis in den Ferien lernen?

Andreas Heidecke: Ein Schüler, der sich dazu entschließt, in den letzten drei Ferienwochen freiwillig zweimal die Woche 20 Minuten Vokabeln zu lernen, lernt mit Sicherheit hocheffizient ... Aber ich bin grundsätzlich der Auffassung: Schulprobleme löst man in der Schulzeit! Und Ferien sind Ferien!


Detlef Träbert ist Diplom-Pädagoge, war 18 Jahre lang als (Beratungs-)Lehrer tätig und war Bundesvorsitzender der "Aktion Humane Schule". Er hat sich auf Lernberatung und Motivation für Kinder, Eltern und Pädagogen spezialisiert und bildet heute Lehrkräfte, Therapeuten und Erzieherinnen/Erzieher auf diesem Gebiet fort.

Andreas Heidecke ist Psychologe und seit über 20 Jahren beim Schulpsychologischen Dienst in Köln tätig. Ihn und seine Kolleginnen und Kollegen in ganz Nordrhein-Westfalen kann man bei Fragen und Problemen rund ums Thema Schule das ganze Jahr über anrufen. Am Zeugnistelefon beruhigt und berät er jedes Jahr Kinder und Eltern.