Logo Bildungsland NRW - Bildungsportal

Begegnung mit jüdischem Leben in Nordrhein-Westfalen - Eine Fortbildungsreihe für Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufen I und II

Zwei junge Männer sehen sich verschiedene Bildkarten rund um das Thema Judentum an.

Begegnung mit jüdischem Leben in Nordrhein-Westfalen - Eine Fortbildungsreihe für Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufen I und II

Wie leben Jüdinnen und Juden heute? Eine Fortbildungsreihe der Bezirksregierung Düsseldorf für Lehrkräfte der Sekundarstufen I und II geht dieser Frage nach.

[Schule NRW 06-23]

Jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen ist in der Geschichte wie auch in der Gegenwart von großer kultureller und gesellschaftlicher Vielfalt geprägt. An Schulen und in Lernmitteln hingegen dominiert bis heute häufig der einseitige Blick auf jüdische Menschen als Opfer historischer Verfolgung und Gewalt. Dies wurde nicht zuletzt jüngst in der vom Schulministerium NRW in Auftrag gegebene Schulbuchstudie durch das Braunschweiger Georg-Eckert-Institut bestätigt. Die einseitige Wahrnehmung jüdischen Lebens beschränkt sich jedoch nicht auf kulturell-historisches Lernen, sondern prägt auch Gegenwartsdiskurse. So dokumentieren unter anderem die Jahresberichte des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus die immer wieder zu beobachtende pauschale Assoziierung jüdischer Kultur und Geschichte mit der Politik des Staates Israel, welche auch zu den Alltagserfahrungen jüdischer Menschen in Nordrhein-Westfalen gehört.

 

Vielfältigkeit des jüdischen Lebens sichtbar machen

„Die Fortbildungsreihe entstand aus dem Wunsch heraus, die Diversität jüdischen Lebens und vor allem die reichhaltige jüdische Geschichte über die Shoa hinaus noch präsenter in Schule und Unterricht einzubringen“ berichten Ömer Temiz und Markus Hugo, Fortbildungsmoderatoren des Kompetenzteams Mettmann. Im Rahmen der Fortbildungsbeauftragung begann die Konzeption und Planung der mehrteiligen Veranstaltung zum Thema „Begegnung mit jüdischem Leben in Nordrhein-Westfalen“ im Herbst 2020 in enger Zusammenarbeit mit der Geschäftsstelle Bildungspartner NRW. Begegnungen mit der historischen und gegenwärtigen Wirklichkeit jüdischen Lebens in Nordrhein-Westfalen tragen in diesem Kontext zum Kennenlernen und zur Auseinandersetzung mit der Lebendigkeit, Vielfalt und Diversität jüdischen Lebens bei. Weiterhin ist sie auch ein Beitrag zur antisemitismuskritischen Bildung, indem sie die historische Aufklärung über Vorgeschichte und Verlauf der nationalsozialistischen Massenverbrechen durch den wichtigen Blick auf das Leben jüdischer Menschen vor dem Holocaust, in den Nachkriegsjahrzehnten und in unserer heutigen gesellschaftlichen Mitte ergänzt.

Die konzeptionellen Vorarbeiten an dem Fortbildungsformat waren inhaltlich von den Veranstaltungen des Jubiläumsjahres „1700 Jahre“ geprägt, welches 2021 die lange jüdische Geschichte in Deutschland mit einem vielfältigen Programm würdigte. Aufgrund der im Schuljahr 2021/2022 noch anhaltenden Pandemiebedingungen wurde ein hybrides Format mit digitalen Veranstaltungen und Seminaren vor Ort gewählt. Partner im ersten Jahr waren unter anderem Schulen wie das Düsseldorfer Albert-Einstein-Gymnasium, die jüdische Gemeinde in Düsseldorf und das Zentrum für Erinnerungskultur im Stadtarchiv Duisburg. Die große Nachfrage von Lehrerinnen und Lehrern nach der ersten Fortbildungsreihe ermöglichte das Angebot eines weiteren, aktualisierten Durchgangs im Schuljahr 2022/2023.

 

Außerschulische Lernangebote und antisemitismuskritische Bildung

Ziel der Reihe war und ist es bis heute, Lehrkräfte der Sekundarstufen I und II aus verschiedenen Fächern mit außerschulischen Lernangeboten zur Diversität jüdischen Lebens in Nordrhein-Westfahlen und zur antisemitismuskritischen Bildung vertraut zu machen. Die Teilnehmenden erhalten an mittlerweile fünf verschiedenen Terminen digital sowie in Präsenz einen Überblick über Angebote und Kooperationsmöglichkeiten außerschulischer Partner an unterschiedlichen Orten des Regierungsbezirkes Düsseldorf. Die Zusammenarbeit mit Bildungspartner NRW und eine enge Verzahnung des Angebotes mit außerschulischen Partnern wie der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, dem Team von SABRA und dem Zentrum für Erinnerungskultur in Duisburg ermöglicht den Teilnehmenden die Erfahrung jüdischer Kultur und Gesellschaft vor Ort sowie Handlungswissen und Handlungssicherheit beim Umgang mit antisemitischen Vorfällen in der Schule.

Insbesondere in den Abschnitten zwischen den Präsenzterminen vor Ort, sowohl im Rahmen von synchron durchgeführten Videokonferenzen als auch von asynchron moderierten Arbeitsphasen auf einer Lehr- und Lernplattform, haben die Teilnehmenden Gelegenheit, sich mit Unterrichtskonzepten und Materialien zum Thema jüdisches Leben in NRW auseinanderzusetzen. Hierbei ist das Ziel, einen fachübergreifenden Blick über die Geschichte der Shoa hinaus zu entwickeln und Anknüpfungspunkte hierfür in den vorhandenen Curricula zu identifizieren. Einer der methodischen Zugänge ist beispielsweise der Ansatz der International School for Holocaust Studies in Yad Vashem, Jerusalem. Er sieht eine enge Verknüpfung der Geschichte der Shoa mit individuellen biografischen Beispielen vor und kontextualisiert die Erfahrungen der Shoa immer mit einer Geschichte vor und einer Geschichte nach dem Nationalsozialismus, um die noch immer vorherrschende Reduzierung jüdischen Lebens auf die Zeit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik aufzubrechen. In diesem Zusammenhang verdankt die Fortbildungsreihe dem landesweiten Fortbildungsangebot „Erziehung nach Auschwitz“ oder den pädagogischen Materialien der International School for Holocaust Studies in Yad Vashem wichtige Impulse, sowohl für die eigene Unterrichtsentwicklung als auch für die Arbeit an schulinternen Curricula oder die Entwicklung außerschulischer Projekte und Programme an Schulen der Teilnehmenden. 

 

Enge Zusammenarbeit in Unterricht und Schule

In den beiden Durchgängen der Fortbildungsreihe in den Schuljahren 2021/2022 sowie 2022/2023 konnten Gruppen von insgesamt 18 beziehungsweise 16 Lehrerinnen und Lehrer der Fächer Geschichte, Politik, Sozialwissenschaften, Religion, Praktische Philosophie und Deutsch aus den Schulformen Gymnasium, Gesamtschule, Realschule und Weiterbildungskolleg gemeinsam an Unterrichts- und Kursprojekten und der Materialentwicklung arbeiten und praktische Erfahrungen im außerschulischen Lernen zum Thema der Reihe sammeln.

Hierdurch entstand ein Netzwerk von Kolleginnen und Kollegen, welche beispielsweise 2022 im Rahmen des Besuches von Sara Atzmon eng zusammenarbeiteten und Treffen der Holocaust-Überlebenden und ihrer Familie mit Schülerinnen und Schülern an verschiedenen Schulen in Nordrhein-Westfalen organisierten. Neben diesen Möglichkeiten schätzen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer insbesondere den deutlichen Praxisbezug der Fortbildungsreihe für die Unterrichtsarbeit sowie das Lernen außerhalb der Schule: „Die Fortbildungsreihe gewährt Einblicke in das vielschichtige Angebot außerschulischer Kooperationspartner. Insbesondere die jüdischen Perspektiven machten die hohe Relevanz antisemitismuskritischer Bildung und die Gegenwart jüdischen Lebens in NRW erfahrbar“, beschreibt Dr. Holger Südkamp, Lehrer am Städtischen Luisen-Gymnasium Düsseldorf, seine Erfahrungen als Teilnehmer der Fortbildungsreihe in diesem Schuljahr. Aufgrund der bis heute hohen Nachfrage und der durchweg positiven Evaluationen der Fortbildungsreihe in den vergangenen beiden Durchgängen ist eine Fortsetzung des Formates auch im kommenden Schuljahr 2023/2024 geplant.   

 

Autor: Dr. Stefan Schustereder, Bildungspartner NRW