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Demokratie fördern und regionale Geschichte erlebbar machen: Das kommunale Verbundprojekt „Geschichte vor Ort“ in Ibbenbüren

Bibliothekarin Dagmar Schnittker steht vor den Medienkisten in der Ibbenbürener Stadtbibliothek.

Demokratie fördern und regionale Geschichte erlebbar machen

Wie können Schülerinnen und Schüler aktiver an der lokalen Erinnerungskultur teilhaben und dabei ihr Demokratiebewusstsein stärken? Genau diesen Fragen gehen Lehrkräfte und regionale Expertinnen und Experten in dem kommunalen Verbundprojekt „Geschichte vor Ort“ in Ibbenbüren nach.

[Schule NRW 01-23]

Seit 2007 engagiert sich Dagmar Schnittker bereits für eine enge Zusammenarbeit zwischen den Schulen in Ibbenbüren und der Stadtbücherei vor Ort. Neben zahlreichen anderen Angeboten werden beispielsweise Medienkisten verliehen, die in der Bibliothek aufgestapelt zwischen den vielen Büchern stehen. Mit Blick auf die Kisten berichtet die Bibliotheksleiterin, dass ihr besonders wichtig sei, dass die Angebote auch konkret den Bedarfen der Lehrkräfte entsprechen. Dagmar Schnittker freut sich daher auch umso mehr über den Ratsbeschluss der Stadt aus dem Jahr 2021, der das Team der Bücherei mit der Ausarbeitung eines Gesamtkonzepts historisch-politischer Bildung für die weiterführenden Schulen in Ibbenbüren beauftragt hat. So sei neben der finanziellen Unterstützung in dem Bereich der Erinnerungskultur auch wichtig, dass die Schulen bei der Umsetzung nicht alleine gelassen werden. „Die Erarbeitung des Gesamtkonzepts mit der Unterstützung durch die Politik ermöglicht nun eine weitere Intensivierung der Zusammenarbeit in der Erinnerungskultur“, so Schnittker.

Zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern von Bildungspartner NRW hat das Team der Stadtbücherei nach dem Ratsbeschluss die Fortbildungsreihe „Geschichte vor Ort – Bausteine für eine aktiv gestaltete Erinnerungskultur in Ibbenbüren und Umgebung“ entwickelt. Ziel ist die Vernetzung der im Umkreis von Ibbenbüren vorhandenen historisch-politischen Lernorte und deren Expertinnen und Experten mit den weiterführenden Schulen sowie die Erstellung von Unterrichtseinheiten in der Erinnerungskultur. Seit Mai 2022 unterstützt hierbei auch das Kompetenznetzwerk OPENION der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung in Kooperation mit dem Schulministerium und der QUA-LiS NRW die Schulen mit Anrechnungsstunden und fachlicher Begleitung.

Schülerinnen und Schüler sollen durch das Konzept ermutigt werden, sich in lokalen erinnerungskulturellen Kontexten zu engagieren. Dadurch soll auch das Demokratiebewusstsein der Schülerinnen und Schüler gestärkt werden. So trägt die Auseinandersetzung mit der Geschichte bedeutend zur Demokratiebildung bei. Nur durch die Lehren aus der Vergangenheit lässt sich der Wert unserer heutigen Demokratie nachvollziehen. „Das Lernen an außerschulischen Lernorten bietet dabei große Chancen und ist Teil eines zeitgemäßen Geschichtsunterrichts“, sagt Dagmar Schnittker, die nicht nur die Leitung der Bücherei, sondern auch die Leitung des Projekts innehat. „An einigen Orten in der Umgebung hat bislang noch niemand die Brille der Demokratie aufgesetzt. Diese Orte zu besuchen und auch die Geschichte lokaler Persönlichkeiten aufzuarbeiten, kann ganz neue Perspektiven eröffnen“, so Schnittker.

Konkret verdeutlicht die Projektleiterin dies an dem Beispiel von Klemens Niermann, einem Pastor, der aus Ibbenbüren stammte und als Fluchthelfer in der DDR verhaftet wurde. Nach ihm wurde 2012 auch ein Platz in Ibbenbüren benannt. Stasi-Akten zu diesem Fall sollen für die Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Verbundprojekts in der Stadtbücherei zur Verfügung gestellt werden. Neben dem Fokus auf die deutsch-deutsche Geschichte, zu der dieser Fall gehört, werden hauptsächlich drei weitere Themen der Erinnerungskultur behandelt: die Geschichte des Nationalsozialismus, jüdisches Leben und Migrationsgeschichte. Letztere Thematik ist für Ibbenbüren insofern besonders interessant, da der Ort in Westfalen als Bergbaustadt unter anderem für viele sogenannte Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus der Türkei eine neue Heimat geworden ist. Zudem gibt es eine große russische Community und eine zentrale Unterkunft für Geflüchtete. Weiterhin gab es vor der Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus eine große jüdische Gemeinde in Ibbenbüren.

Bei einem ersten Arbeitstreffen im November wurden in den Räumen der Stadtbücherei Ibbenbüren zu diesen vier Themenblöcken bereits erste Ideen für jeweils eine Unterrichtseinheit entwickelt. Immer im Blick: die aktive Teilhabe der Schülerinnen und Schüler an den erinnerungskulturellen Orten. Mit dabei waren Lehrkräfte von den weiterführenden Schulen, Expertinnen und Experten der außerschulischen Lernorte sowie Zeitzeugen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtarchivs und -museums. Vorbereitet worden war diese Veranstaltung der Fortbildungsreihe von Moderatorinnen und Moderatoren für historisch-politische Bildung in Kooperation mit Bildungspartner NRW und der Stadtbibliothek. Dagmar Schnittker arbeitet selbst in der Gruppe für deutsch-deutsche Geschichte mit. Von den Ergebnissen des ersten Arbeitstreffens nach der Auftaktveranstaltung zeigte sie sich begeistert: „Wir haben bereits erste konkrete Ergebnisse für Unterrichtsbausteine für außerschulische Lernorte konzipieren können.“

Angelegt ist das Verbundprojekt auf zwei Jahre. In weiteren Planungssitzungen soll zunächst im ersten Jahr weiterhin die Erstellung von unterrichtlich nutzbaren Einheiten im Vordergrund stehen, die eine aktive Mitgestaltung der erinnerungskulturellen Angebote durch Schülerinnen und Schüler ermöglichen  sollen. Die entwickelten Ideen sollen auch bereits an den Schulen in den Lerngruppen erprobt werden, Schülerinnen und Schüler also aktiv in den Prozess eingebunden werden. Im Rahmen einer Abschlussveranstaltung werden die Lernangebote dann präsentiert. Im zweiten Jahr beziehungsweise ab Herbst 2023 soll dann mit der Umsetzung in den Schulen begonnen werden.

Neben dem Bezug zu den Gegebenheiten vor Ort hat das Projekt viele weitere Besonderheiten, wie die Projektleiterin anführt. So ist zunächst hervorzuheben, dass es in dem Umfang und der Form in Nordrhein-Westfalen kein weiteres vergleichbares Verbundprojekt gibt. Zudem findet nicht nur eine Vernetzung vor Ort zwischen den außerschulischen Lernorten und den Schulen statt, sondern auch ein verstärkter Austausch zwischen den Ibbenbürener Schulen untereinander. Hierzu zählen auch drei Förderschulen, zwei davon im Umkreis von Ibbenbüren. Den Aspekt, dass wirklich alle Schulformen von dem Projekt profitieren sollen, hebt Dagmar Schnittker besonders hervor. So würden oftmals Konzepte nur für Gymnasien entwickelt, Haupt- oder Förderschulen aber beispielsweise nicht berücksichtigt.

Bisher ist die Projektleiterin sehr zufrieden mit dem angelaufenen Projekt. Mit dem ersten Arbeitstreffen ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung getan. Auch die bereits existierende Vernetzung zwischen Schulen und außerschulischen Lernorten, unter anderem die seit 2006 über Bildungspartner NRW existierenden bestehenden Bildungspartnerschaften zwischen der Bücherei und den Schulen vor Ort, hilft dabei sehr. Die Bibliotheks- und Projektleiterin hofft, dass das Modellprojekt über den geplanten Zeitraum hinaus fortgesetzt wird und dass es für andere Kommunen als Vorbild dienen kann. Da sei sie aber zuversichtlich, so Schnittker.

 

Autorin: Franziska Kassing, Ministerium für Schule und Bildung NRW