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Junge Frauen und Männer lächeln in die Kamera.

Demokratiebildung geschlechtersensibel gestalten

Geschlechtergerechtigkeit ist eine wichtige Grundlage unserer Demokratie. Daher muss schulische Demokratiebildung auch Geschlechteraspekte berücksichtigen. Wie kann das gelingen?

[Schule NRW 10-24]

Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist in einem demokratischen Staat unstrittig. In Deutschland ist sie unter anderem durch das Grundgesetz garantiert. Doch die rechtlich formulierten Ansprüche an Geschlechtergleichheit sind hierzulande lange noch nicht erreicht. Beim Gender Equality Index der Europäischen Union erreichte Deutschland in den letzten Jahren nur einen Wert von 70. Erst mit 100 Punkten wäre eine Gleichstellung zwischen Frauen und Männern tatsächlich realisiert. Geschlechterungleichheiten zeigen sich bis heute beispielsweise beim Vermögen, bei der Bezahlung und Verteilung von Arbeit und bei politischer Teilhabe. 

 

Geschlechtersensible Demokratiebildung als Auftrag in Schule

Aus diesem Grund legt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht nur gleiche Rechte unabhängig vom Geschlecht fest, sondern normiert in Artikel 3 auch, dass der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung fördert und auf die Beseitigung von bestehenden Nachteilen hinwirkt. Eine ähnliche Formulierung findet sich im Schulgesetz Nordrhein-Westfalens: Die Schule achtet den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.  Nicht zuletzt deshalb ist geschlechtersensible Bildung ein Auftrag von Schule und ein wichtiges Element schulischer Demokratiebildung. Mehr noch: Demokratiebildung kann nur erfolgreich sein, wenn sie geschlechtersensibel gestaltet ist.

Diesbezüglich gibt es durchaus Handlungsbedarf. Zwar findet einerseits die Demokratie unter jungen Menschen große Zustimmung, wie der Demokratiebericht NRW zeigt. Und die internationale ICCS-Vergleichsstudie zur politischen Bildung von 2022 weist nach, dass eine deutliche Mehrheit der 14-Jährigen in Nordrhein-Westfalen auch Geschlechtergleichstellung befürwortet. Doch andererseits sind rund zwölf Prozent der Jugendlichen der Ansicht, dass Frauen sich aus der Politik heraushalten sollten. Jede sechste befragte Person im Alter von 14 Jahren ist der Meinung, dass Männer mehr Recht auf einen Arbeitsplatz hätten als Frauen. Vor diesem Hintergrund kommt geschlechtersensibler Demokratiebildung in Schule eine hohe Bedeutung zu.

 

Handlungsmöglichkeiten von Schule

Die schulische Demokratiebildung verfolgt aus einer Geschlechterperspektive unterschiedliche Ansätze. Schule kann zu politischem Engagement anregen sowie Selbstbestimmung und Gestaltungswille unterstützen. Die ‚Lust an Demokratie‘ wird dadurch bei allen jungen Menschen geweckt und gestärkt – unabhängig vom Geschlecht. Schule als Ort gelebter Geschlechterdemokratie beteiligt Kinder und Jugendliche gleichermaßen an Entscheidungsprozessen. Hierzu können beispielsweise möglichst ausgeglichene Geschlechterverhältnisse in schulischen Gremien und Arbeitsgruppen beitragen.

Das Entwickeln, Vertreten und Reflektieren einer eigenen Meinung, aber auch der Austausch und der Respekt vor anderen Meinungen sind Voraussetzung für die Demokratie. In der Schule kommen junge Menschen miteinander ins Gespräch. Sie haben unterschiedliche Lebensweisen, Haltungen und (Geschlechts-)Identitäten. Hier kann gelernt werden, sich aufeinander einzulassen, die Perspektive von anderen zu verstehen, einander zu akzeptieren und zu respektieren. Hilfreich sind hierbei beispielsweise Planspiele und konkrete Projekte, die Geschlechter- und Demokratiefragen gleichermaßen in den Fokus nehmen.

Geschlechtergleichstellung ist nicht nur Teil einer erfolgreich gelebten Demokratie, sondern auch thematischer Inhalt von politischer Bildung. Schule vermittelt Kenntnisse zu Emanzipation, Gleichberechtigung und Anti-Diskriminierung. Dazu gehört auch die kritische Auseinandersetzung mit antidemokratischen, sexistischen und queerfeindlichen Haltungen. 

 

Intervention bei – auch geschlechtsbezogener – Diskriminierung

Viele Jugendliche haben offenbar ein Gespür für geschlechterbezogene Ungleichheiten. Die ICCS-Studie 2022 fragte die 14-Jährigen, welche gesellschaftlichen Gruppen ihrer Meinung nach diskriminiert werden. Fast neun von zehn Jugendlichen gaben an, dass LSBTIQ*-Personen benachteiligt werden. Keine andere gesellschaftliche Gruppe wird nach Ansicht der Befragten stärker diskriminiert. Weiterhin sahen knapp 75 Prozent der Jugendlichen Frauen als diskriminierte Gruppe an. Die Ergebnisse zeigen, dass Jugendliche für Diskriminierung sensibel sind.

LSBTIQ* ist eine Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell, trans- und intergeschlechtlich sowie queer. Das Sternchen dient als Platzhalter für weitere Selbstbezeichnungen im Rahmen von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.

Die Befunde können aber auch als Indizien dafür interpretiert werden, dass Jugendliche Diskriminierung von Frauen und LSBTIQ*-Personen in ihrem Alltag erleben. Junge Menschen müssen deshalb in der Schule handlungsfähig werden, um angemessen auf geschlechterbezogene Benachteiligungen reagieren und zu deren Abbau beitragen zu können. 

 

Für Kinder und Jugendliche ist eine Bildungseinrichtung wie die Schule auch ein möglicher Schutzraum. Pädagogisch Handelnde in Schule haben einen klaren Interventionsauftrag bei geschlechtsbezogener Diskriminierung, Sexismus und Gewalt. Schule muss junge Menschen ermutigen und stärken, aber auch schützen. Dafür stehen an Schule multiprofessionelle Teams, das heißt unter anderem Beratungslehrkräfte, die Schulsozialarbeit, aber auch die Schulpsychologie zur Verfügung.

 

Angebote für Schulen

Geschlechtersensible Gestaltung von Demokratiebildung in der Schule ist für Schulleitungen, Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte in Nordrhein-Westfalen ein wichtiges Thema. Das hat auch eine Veranstaltung in der Qualitäts- und UnterstützungsAgentur – Landesinstitut für Schule Nordrhein-Westfalen (QUA-LiS NRW) in Soest gezeigt. Am 9. September 2024 kamen hier über 140 Interessierte aus Schulen und Schulaufsicht zu einer innerhalb weniger Tage ausgebuchten Fachtagung zusammen. 

Ein Fachvortrag analysierte Antifeminismus und Queerfeindlichkeit als aktuelle Herausforderungen für die politische Bildung. In zahlreichen Workshops wurden Geschlechteraspekte in der Demokratiebildung aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Die Evaluation der Fachtagung zeigt, dass die Teilnehmenden die Impulse der Veranstaltung in vielfältiger Form für ihre unterrichtliche und schulische Arbeit nutzen können. Geschlechtersensible Demokratiebildung bleibt nach Ansicht einer teilnehmenden Lehrkraft „ein spannendes Thema, das im pädagogischen Alltag mehr Bedeutung gewinnen muss“.

Auf der Fachtagung stellten auch das Programm Schule der Vielfalt sowie die Fachstelle für Gender und Diversität NRW ihre Arbeit vor. Bei der Realisierung von geschlechtersensibler Demokratiebildung in Schule sind die Angebote dieses Programms und der Fachstelle sehr hilfreich. Nähere Informationen hierzu finden Sie in den folgenden Informationskästen. Weitere Unterstützung im Bereich der geschlechtersensiblen Bildung bieten Fortbildungsangebote der Bezirksregierungen sowie das QUA-LiS-Internetportal zur geschlechtersensiblen Bildung, das kontinuierlich ausgebaut wird. 

 

Autorin: Ilke Glockentöger, Qualitäts- und UnterstützungsAgentur – Landesinstitut für Schule NRW (QUA-LiS NRW)

 

In den kommenden Ausgaben wird Schule NRW in loser Folge Fragen rund um die Themen Demokratiebildung und Gendergerechtigkeit erneut aufgreifen und weiter ausdifferenzieren.

Programm "Schule der Vielfalt" in Nordrhein-Westfalen

Schule der Vielfalt ist ein inklusives Antidiskriminierungsprogramm und Schulnetzwerk zur Förderung von Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt im Schulwesen. Unter anderem durch Projektschulen, Beratung und Vernetzung, Kooperationen im Bereich der Lehrkräfteaus- und -fortbildung sowie Veranstaltungen leistet es einen wichtigen Beitrag gegen Ausgrenzung und für ein respektvolles und demokratisches Miteinander. Neben der NRW-Fachberatungsstelle für Schule der Vielfalt, die Schulen im Kontext von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt berät, gibt es in den fünf Bezirksregierungen Bezirkskoordinationen, die Schulen auf dem Weg ins Netzwerk unterstützen.

Weitere Informationen unter: www.schule-der-vielfalt.de

QUA-LiS-Internetportal zu "Geschlechtersensible Bildung in der Schule"

Dieses Online-Angebot bündelt Angebote, Informationen und Materialien zu geschlechtersensibler Bildung und Erziehung in der Schule. Neben Grundlagen und allgemeinen Informationen gibt es auch Impulse zur Gestaltung von geschlechtersensiblem Unterricht und zu Geschlechteraspekten in weiteren schulischen Handlungsfeldern.

Weitere Informationen unter: https://www.schulentwicklung.nrw.de/q/gendersensible-bildung

Fachstelle "Gender & Diversität NRW"

Die Fachstelle Gender & Diversität NRW ist die zentrale Einrichtung zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit und Anti-Diskriminierung in der Kinder- und Jugendhilfe. Neben der Beratung von Einrichtungen und Fachkräften bietet die Fachstelle auch vielfältige Fortbildungen und weiterführende Informationen an. Außerdem stellt sie pädagogisches Material für geschlechterreflektierende Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bereit.

Weitere Informationen unter: www.gender-nrw.de