Ein Morgenritual und viele Überraschungen
Schulleiterin für einen Tag: Schulministerin Dorothee Feller schlüpft in Bonn kurzzeitig in die Rolle einer schulischen Führungskraft. Sie erlebt Momente des Respekts, muss Konflikte lösen, sich mit Blaumachern auseinandersetzen und bekommt hautnah mit, dass Schule so viel mehr ist als ein Ort des Lernens.
[Schule NRW 06-24]
Den ersten sehr schönen Moment erlebe ich gleich beim Dienstbeginn. Es ist 6.30 Uhr, die Gänge der Schule sind noch verwaist, alles ist still. Gemeinsam mit Schulleiter Arndt Hilse und Hausmeister Peter Kessenich unterhalte ich mich ein paar Minuten, vor uns Tassen mit dampfendem Kaffee. Ich nehme teil an der allmorgendlichen festen Verabredung der beiden Herren. Zusammen etwas Luft holen, bevor es losgeht, darum geht es. Schon bald darauf werde ich erfahren, wie notwendig dieses Morgenritual des Krafttankens mit Plausch und Heißgetränk ist. Unterrichtsplanungen, Krisengespräche, viele Begegnungen in den Schulgängen und auf dem Schulhof und jede Menge Überraschungen werden die kommenden Stunden bestimmen.
An der Karl-Simrock-Schule in Bonn schlüpfe ich für einen Tag in die Rolle einer Schulleiterin. Arndt Hilse, Mitglied der vom Schulministerium ins Leben gerufenen Arbeitsgemeinschaft Schulleitungen, hat mich eingeladen, ein paar Stunden an seiner Seite zu verbringen und alles mitzumachen, was sein Arbeitstag so mit sich bringt. Selbst bei der finalen Abzeichnung von Klassenarbeiten könne ich helfen und einen schönen Spruch unter die Arbeiten schreiben, hat er angekündigt. Ich habe sehr gerne zugesagt. Es ist eine wunderbare Gelegenheit, denn um zu wissen, wie schulpolitische Entscheidungen wirken und wie wir vor Ort Dinge verbessern können, muss ich viel mit den Menschen in den Schulen reden und mir ihre Arbeit anschauen.
Viele der Maßnahmen, die wir mit unserem Handlungskonzept zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung bereits umgesetzt haben, sind durch solche Gespräche entstanden. So haben wir unter anderem etwa 1500 Alltagshelferinnen und Alltagshelfer an unseren nordrhein-westfälischen Schulen eingestellt. Nun möchte ich unter anderem erfahren, wie wir Schulleiter konkret bei ihren administrativen Aufgaben entlasten können, damit sie – wie zum Beispiel von Arndt Hilse gewünscht – mehr Zeit für das Kollegium, die Schülerinnen und Schüler oder die Schulentwicklungsmaßnahmen haben. Nichts könnte also bei der Vorbereitung weiterer Maßnahmen wichtiger sein als authentische Einblicke in den Alltag unserer Schulleitungen, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler. Ich möchte spüren, mit welchen Emotionen sie durch den Tag gehen, möchte sehen, wie gearbeitet und gelernt wird, möchte hören, was die Menschen zu erzählen haben.
Die Bonner Schule für Berufsorientierung liegt idyllisch im Westen der ehemaligen Bundeshauptstadt, ringsherum viel Grün. 338 Schülerinnen und Schüler besuchen die Einrichtung, viele stammen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte. 44 Lehrerinnen und Lehrer kümmern sich um den Nachwuchs und damit auch um die 42 Schülerinnen und Schüler, die sonderpädagogische Unterstützung benötigen. Ein sicherer und guter Ort solle seine Schule sein, sagt Arndt Hilse, der seit dem Jahr 2008 hier als Schulleiter tätig ist, „ein Ort, an dem sich alle aufgehoben und gesehen fühlen“. Wenn sich alle wohlfühlen, könne man viel erreichen.
Wie er diesen Ort leitet, nötigt mir schon direkt beim lockeren Auftakt beim Kaffeetrinken großen Respekt ab. Arndt Hilse strahlt trotz eines übervollen Terminkalenders Freude und eine natürliche Autorität aus. In den Pausen ist er auf dem Schulhof zu finden, spricht alle Schülerinnen und Schüler mit ihren Namen an. Er weiß auch um die persönlichen Umstände seiner Lehrkräfte und die Elternhäuser seiner Schülerinnen und Schüler. Bei allem ist ihm bewusst, dass er als Einzelkämpfer nur schwer etwas bewirken würde. Alleine könne ein Schulleiter nicht viel ausrichten, betont Arndt Hilse bestätigend – er benötigt ein gutes Team. Das hat er. Und wie sehr es gebraucht wird, merke ich schnell.
Denn kaum hat die Schulglocke zur ersten Stunde geläutet, mache ich Bekanntschaft mit den schwierigen Aufgaben, die eine Leitungskraft an einer Schule im Verbund mit den anderen Lehrkräften zu bewältigen hat. Zwar hat sich heute keine Lehrerin/kein Lehrer zusätzlich krankgemeldet, sodass Arndt Hilse keine Unterrichtsplanung umwerfen muss, was sonst regelmäßig passiert. Dafür müssen wir ein Telefonat mit einer Mutter führen, deren volljährige Tochter seit Längerem nicht in der Schule war. Wir versuchen, die Mutter davon zu überzeugen, dass sie mit ihrer Tochter sprechen und sie zur Teilnahme am Unterricht bewegen muss, ansonsten drohen der jungen Frau ein Bußgeld, Sozialstunden und im schlimmsten Fall Arrest.
Danach treffen wir im Büro von Arndt Hilse auf eine Mutter und deren Tochter, die in den vergangenen Wochen ebenfalls nur selten in der Schule war. Meistens schlafe ihre Tochter morgens bis 12 Uhr, erzählt die Mutter. Wir fragen die Tochter: Welche Vorstellungen sie habe? Was sie beruflich mal machen wolle? Es ist schwierig, ihr Interesse zu wecken, ihr die Situation zu verdeutlichen. Der Schulsozialarbeiter ist bei diesen Gesprächen unterstützend dabei.
Als nächstes haben wir es mit einer Schülerin und einem Schüler aus der 5. Klasse zu tun, die sich eine Auseinandersetzung geliefert haben. Es dauert ein wenig, bis sich vor allem der Junge beruhigt hat – Arndt Hilse hat ihn zum Runterkühlen in einen freien Raum gesetzt. Als sich die Gefühlslage entspannt hat, fordern wir die beiden zur gegenseitigen Entschuldigung auf. Es funktioniert, glücklicherweise. Dies alles mündet in eine Haupterkenntnis dieses Tages: Diese Schule und auch vergleichbare Schulen in anderen Städten leisten ganz viel Sozialarbeit.
Die Karl-Simrock-Schule steht für die große Relevanz von Hauptschulen in Nordrhein-Westfalen – sie stärken das Selbstbewusstsein der Schülerinnen und Schüler und leben jeden Tag Werte wie Offenheit, Friedfertigkeit, Toleranz und Verantwortung. Jede Schülerin und jeder Schüler wird hier nach ihren/seinen Fähigkeiten und Interessen gefördert und erhält darüber hinaus Einblicke in Berufe. Eine sehr wichtige Aufgabe der Schule aus Bonn ist es, den jungen Menschen den Wechsel von der Schulbank in die Berufswelt leichter zu machen. Nicht umsonst hat eine Jury aus Experten aus Bereichen wie Bildung, Politik und Wissenschaft der Schule das Siegel „Starke Schule. Deutschlands beste Schulen, die zur Ausbildungsreife führen“ verliehen.
Damit handwerkliche Praxis ganz selbstverständlich in den schulischen Betrieb einfließt, helfen eine Malerin, ein Schreiner und ein Koch mit. In meiner Rolle als Schulleiterin für wenige Stunden sehe ich, wie sie mit Schülerinnen und Schülern Wände streichen, Tische bauen und leckere Gerichte zaubern. Das Catering kommt auch allen Lehrkräften zugute: Wer für den abendlichen Speisetisch etwas mitnehmen möchte, kann sich das Essen für den Heimtransport in Dosen verpacken lassen. Auch ich darf an diesem Tag am gemeinschaftlichen Schulessen teilnehmen – es ist mein persönlicher Abschluss als Co-Führungskraft neben Arndt Hilse.
Und so endet für mich dieser Tag, wie er begonnen hatte. Mit einem wirklich schönen Moment - und einem großen Dank an die Schule für die Einblicke.
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