Rund 20.000 Menschen wählen jeden Monat bei kleinen und großen Problemen die Nummer gegen Kummer. Kinder, Jugendliche und auch Eltern erhalten hier eine kompetente Beratung. Kostenlos. Anonym. Und sehr hilfreich.
von Anja Schimanke
„Hallo, hier ist das Elterntelefon!“, sagt eine ruhige Stimme – und wartet. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei, dann hört sie wie jemand tief Luft holt und dann sprudelt der erste Satz durch die Leitung: „Ich habe ein Problem!“, sagt eine Frau am anderen Ende, die jetzt hörbar ausatmet, „Mit meinem Sohn, ich weiß echt nicht mehr weiter!“ Ihren Namen nennt sie nicht, der spielt auch keine Rolle. Ihr Problem ist das, worum es hier beim Beratungstelefon geht, und um die Suche nach einer Lösung oder einer Perspektive. Und dann platzt alles aus ihr heraus: Dass sie sich nur noch mit ihrem Sohn streitet, weil er nichts für die Schule tut, er nur noch schlechte Noten nach Hause bringt, sie sich große Sorgen macht wegen seines Schulabschlusses und überhaupt … „Viele Eltern, die anrufen, sind hoffnungslos überfordert, ja, richtig ausgebrannt!“, weiß Diplom-Pädagogin Beate Friese. Sie hat bei der "Nummer gegen Kummer" die Gesamtleitung und Koordination der Email-Beratung inne. „Es melden sich Menschen, die sich nicht trauen mit anderen über ihr Problem zu sprechen, weil es ihnen entweder peinlich ist oder sie befürchten, nicht ernst genommen zu werden.“ Verunsicherung, Hilflosigkeit und Angst, dem Kind keine gute Mutter zu sein und in der Erziehung zu versagen, sind die häufigsten Gründe, warum Eltern die "Nummer gegen Kummer" anrufen oder anschreiben.
Das Motto: Hilfe zur Selbsthilfe
Beate Friese berät Eltern und Jugendliche per Email. (© Nummer gegen Kummer e.V. / Claus Langer )„Der Erziehungsalltag wird von vielen Anrufern als sehr belastend empfunden!“, so Friese, die 1979 als Studentin ehrenamtlich tätig wurde beim „Sorgentelefon für Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen“, wie die Nummer gegen Kummer früher etwas umständlich hieß. Damals gab es nur vereinzelt Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche in Not. Das sollte sich ändern. „1980 haben wir uns gesagt: ‚Wir bauen ein flächendeckendes Netz auf, denn jedes Kind in Deutschland soll uns erreichen können’ – und das haben wir geschafft.“ Heute ist der Verein das größte telefonische und kostenfreie Beratungsangebot für Kinder, Jugendliche und, seit 2001, auch wieder für Eltern. Und auch per Email kann man sich beraten lassen. Friese: „Für alle diejenigen, die lieber schreiben wollen statt zu reden. Und für alle die, die nicht sprechen können, an die muss man ja auch denken!“
Rund 3.900 geschulte Mitarbeiter sind bei der „Nummer gegen Kummer“ im Einsatz. Nicht nur Pädagogen, auch Hausfrauen und Studenten sind hier 900.000 Stunden im Jahr ehrenamtlich tätig. Und die Schüler nicht zu vergessen, die samstags andere Jugendliche beraten. Methoden, um Lösungen zu finden, bekommt jeder Berater in der Schulung beigebracht: „Wie man aktiv zuhört, sich als Person zurücknimmt und jemanden verbal tröstet, den man nicht in den Arm nehmen kann, bekommt jeder von uns beigebracht“, erklärt die Erziehungswissenschaftlerin. Jede Beratung ist so individuell wie das Problem, um das es geht. Doch eins haben alle Anrufer gemeinsam: Sie werden informiert, beraten und entlastet. Denn gerade das verständnisvolle Zuhören ist enorm hilfreich. Ein weiterer Grund, warum die Zahl der Anrufer seit Jahren kontinuierlich steigt, erklärt sich Klaus Hoppe, Vorsitzender des Vereins, so: „Das ist ein großes, gesellschaftliches Problem, dass die verbale Kommunikation sehr stark abgenommen hat.“ Heute kommunizieren Leute anders miteinander, übers Handy und per Internet, aber das Gespräch würde dadurch stark verändert. „Insofern ist es wichtig, dass wir gerade mit unserem Angebot, Kinder und Jugendliche die Chancen geben über ihre Probleme mit uns zu sprechen.“
Und Probleme gibt es viele, kleine und große. Ob Schulstress, Mobbing, Ärger mit den Eltern oder Missbrauch – über alles lässt sich reden … Welche Themen Jugendliche am meisten beschäftigen, die die Nummer gegen Kummer wählen? „Das sind bei den Mädchen Partnerschaft und Liebe, bei den Jungen das Thema Sexualität, die ist bei den Mädchen weniger gewichtet“, weiß Jugendforscher Professor Klaus Hurrelmann, der 2010 eine Studie von Nummer gegen Kummer leitete und die anonymen Hilferufe analysierte. Mädchen suchen zwar häufiger Rat als Jungen, aber die holen auf und melden sich inzwischen häufiger, als noch vor einigen Jahren: „Dass Jungs auch mehr dazu bereit sind über ihre Gefühle zu sprechen, finde ich super“, freut sich Klaus Hoppe, denn im allgemeinen Rollenbild wird es ja oft mit Schwäche verbunden, wenn Jungs Gefühle zeigen. „Ich finde es einfach toll, dass es diese Nummer gibt“, sagt Beate Friese mit einer Stimme, die keinen Zweifel darüber lässt, dass sie nach über drei Jahrzehnten immer noch begeistert ist. „Wenn ich höre, welche Probleme heute die Kinder und Jugendliche beschäftigt, die uns anrufen, dann denke ich ‚Ja, darüber hätte ich in meiner Jugend auch gerne mal mit jemanden, der unvoreingenommen ist, gesprochen’ – ich hätte angerufen und das nicht nur einmal!“
Die meisten Anrufer können im Laufe des Gesprächs ihr Problem klären. Manche bekommen auch einen Ansprechpartner vor Ort genannt, an den sie sich wenden können wie eine Erziehungsberatungsstelle oder der Schulpsychologische Dienst. „Bei gravierenden Problemen wie Missbrauch ist der Anruf bei uns ein Anfang“, erklärt die erfahrene Beraterin, „und wir können Perspektiven aufzeigen!“
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