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Nachgefragt - Der MSB-Podcast - Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe

Nachgefragt - Der MSB-Podcast - Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe

Grafische Darstellung eines Mikrofons, daneben der Schriftzug "Nachgefragt - Der MSB Podcast"
Audio
13:31 Minuten
11. September 2024

Seit Mai diesen Jahres gibt es ein Eckpunktepapier und einen Kabinettsbeschluss für eine Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe in Nordrhein-Westfalen. Wie die Oberstufe zukunftsfest gemacht wird und was auf die Schulen sowie die Schülerinnen und Schüler zukommt, erklärt Arne Prasse, Gruppenleiter 52 im Schulministerium und unter anderem verantwortlich für die gymnasiale Oberstufe.

Interviewer: Ralf Dolgner, MSB, Referatsleiter 126, Öffentlichkeitsarbeit, Amtsblatt

Interviewter: Arne Prasse, Gruppenleiter 52 im MSB, verantwortlich für die Schulformen Gymnasium, Sekundarschule, Gesamtschule, Weiterbildungskolleg sowie für Grundsatzfragen der Qualitätsentwicklung, Standardsetzung und Bildungsforschung

Herr Dolgner:     Herzlich willkommen zu „Nachgefragt“, dem Podcast aus dem Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen. Wir sind hier mal wieder in der Bibliothek, weil hier eine ganz tolle Akustik ist. Und heute dabei ist der Leiter der Gruppe 52 hier im Schulministerium, Herr Prasse. Und wir reden gleich über die Pläne der Landesregierung für eine Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe. Hallo, Herr Prasse!

Herr Prasse:       Hallo, Herr Dolgner!

Herr Dolgner:     Herr Prasse, seit Ende Mai dieses Jahres gibt es ein Eckpunktepapier und einen Kabinettsbeschluss für eine Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe in Nordrhein-Westfalen. Erklären Sie uns doch zunächst in ganz groben Zügen mal, worum es denn bei dieser Weiterentwicklung geht.  Was kommt da auf die Schulen und die Schülerinnen und Schüler zu?

Herr Prasse:       Ja, vielen Dank für die Frage. Wir wollen die Oberstufe in Nordrhein-Westfalen zukunftsfest machen. Sechs Eckpunkte hat die Landesregierung dafür beschlossen. Ich sag mal die drei Wesentlichen sind zum einen die Einführung eines fünften Abiturfachs. Wir werden in dem fünften Abiturfach neu das Prüfungsformat einer „Präsentationsprüfung“ verankern und wir werden die „Besondere Lernleistung“ weiter stärken. Und wir werden, das ist auch neu, die Projektkurse künftig für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich machen, damit wir die Kompetenzen, die in den Lehrplänen vorgesehen sind, auch besser noch umsetzen können.

Herr Dolgner:     Das klingt interessant. Aber bevor wir das gleich noch weiter vertiefen und ins Detail gehen, zunächst zur Einordnung nochmal nachgefragt: Woher kam denn eigentlich der Impuls für diese aktuellen Überlegungen zur Weiterentwicklung?

Herr Prasse:       Ja, da gibt es verschiedene Impulse. Der eine, den man nennen muss ist, dass das Bundesverfassungsgericht ein Urteil zur Vergabe von Medizinstudienplätzen gesprochen hat, wo die Länder aufgefordert worden sind, ihre Abiturprüfung bundesweit vergleichbarer zu machen, damit es gerechter zugeht. Daraufhin hat die KMK sehr schnell ihre Vereinbarung für die gymnasiale Oberstufe angepasst und die meisten Bundesländer haben bereits fünf Abiturfächer. Wir wollen da nachziehen. Das ist das, was wir tun müssen, es gibt allerdings auch einige Dinge, die wir tun wollen. In den bisherigen Prüfungsordnungen war es bislang immer so, dass wir keine zwei Naturwissenschaften im Abitur belegen konnten, weil es bestimmte Restriktionen gab. Das wollen wir künftig aufheben und wir haben eben die Anforderungen der neuen Zeit umzusetzen, das heißt, wir müssen uns mit neuen und alternativen Prüfungsformaten auseinandersetzen.

Herr Dolgner:     Wenn Sie sagen, es wurden in der Vergangenheit verschiedene Dinge diskutiert, wie sind Sie denn nun vorgegangen, um auszuloten, was sich im Einzelnen in Nordrhein-Westfalen jetzt hier ändern soll und was beibehalten werden kann? Wer wurde da z.B. mit einbezogen?

Herr Prasse:       Zunächst haben wir uns natürlich selbst erst mal Gedanken gemacht. Aber bei so einer großen Reform wie die der gymnasialen Oberstufe sitzt man natürlich nicht allein im stillen Kämmerlein, sondern versucht, diejenigen mit einzubeziehen, die nachher am Ende auch über die neue Oberstufe zu entscheiden haben und sie umsetzen müssen, deshalb  haben wir unmittelbar nach der KMK-Entscheidung seit März 2023 alle Verbände einbezogen, das heißt  Lehrerschaft, Schülerschaft, Elternvertretung mit hineingenommen, die Schulleitungsvereinigungen sind mit an Bord, die Personalräte ebenso, auch die Schulaufsicht. Und, was für uns auch wichtig ist, wir haben die Politik von Anfang an mit einbezogen, das heißt die schulpolitischen Sprecherinnen und Sprecher aller Landtagsfraktionen und den Vorsitzenden des Landtagsschulausschusses haben wir bei unseren Sitzungen auch immer mit miteinbezogen.

Herr Dolgner:     Das muss wohl auch so sein oder?

Herr Prasse:       Das sollte so sein, wenn man hinterher so ein Ding erfolgreich machen muss, dann sollte man mit allen reden, frühzeitig.

Herr Dolgner:     Okay, dann zurück zum Inhaltlichen: Sie hatten als einen wesentlichen Punkt angesprochen, dass es neue Prüfungsformate geben soll. Da möchte ich gerne wissen, sind denn aus Ihrer Sicht unsere bisherigen Prüfungsformate da nicht mehr zeitgemäß? 

Herr Prasse:       Doch, ich glaube, was wir im ersten bis vierten Abiturfach haben, ist weiterhin auch zeitgemäß. Es geht allerdings da vor allem darum, individuelle Leistungen von Schülerinnen und Schülern zu überprüfen. Das ist ein wichtiger Teil, der künftig beibehalten werden soll, aber es deckt eben nicht die gesamten Lehrplankompetenzen ab. Wir finden wichtig, auch gerade mit Blick auf Studium und späteren Beruf, dass wir eben Fähigkeiten und Fertigkeiten auch stärken, die darauf ausgerichtet sind, kooperative und kollaborative Leistungen mit einzubeziehen, das heißt die Frage, wie man mit anderen zusammenarbeiten kann, in welcher Weise der Einsatz von Hilfsmitteln möglich ist, also zum Beispiel, wie gehen Schülerinnen und Schüler mit KI um, was kann man daraus machen? Wichtig ist uns auch, dass man auf der Basis eines längerfristig vorbereiteten Produktes eine Prüfung gestalten kann, auch das ist später im Berufsleben sehr wichtig, und nicht nur eben ad hoc in einen Austausch kommen muss. Der Dialog in einer Prüfung, also dass man, wie wir jetzt heute auch, im Gesprächsformat versucht, Dinge zu entwickeln, finden wir wichtig. Und eben das präsentative Element ist ein ganz wichtiges, glaube ich, also nicht nur etwas wissen und können, sondern das auch gut verkaufen zu können ist, glaube ich, eine ganz wichtige Sache, die bislang im ersten bis vierten Abiturfach ein bisschen unterrepräsentiert war und die wir jetzt durch das fünfte Abiturfach etwas stärker nach vorne bringen wollen.

Herr Dolgner:     Sie hatten gerade mal kurz erwähnt, KI – also künstliche Intelligenz - spielt in Ihren Überlegungen auch eine Rolle. Wird also KI auch im Rahmen von Abiturprüfungen zur Anwendung kommen können?

Herr Prasse:       Das muss nicht in jedem Fall so sein, das kann aber künftig so sein, das finden wir auch wichtig. Wir werden, wenn wir die nächsten 20, 30, vielleicht noch länger, Jahre im Blick behalten, KI aus dem Leben unserer Kinder nicht heraushalten können, sondern das wird eine wichtige Rolle spielen. Und deshalb ist es wichtig, in der Schule darauf vorzubereiten und das auch in die Prüfung mit einzubeziehen. 

Herr Dolgner:     Also, noch mal richtig reingehakt: KI in der Abiturprüfung selbst?

Herr Prasse:       Nein. Also in der Abiturprüfung selbst wird das wahrscheinlich eher nicht sein, aber wir werden ja die Abiturprüfung auf vorher vorbereitete Produkte herauslaufen lassen. Und diese Produkte können natürlich auch mit KI erstellt worden sein. Also das wäre für uns wichtig, in den Präsentationsprüfungen, auch in der besonderen Lernleistung kann eben ein Produkt auch durch KI generiert werden. Und damit umzugehen, die Stärken und auch Schwächen der KI herauszuarbeiten, wären dann wesentliche Punkte. Aber zusammengefasst, und das sollte man nie vergessen, natürlich bleibt das menschliche Hirn weiterhin unersetzlich, auch und gerade in Abiturprüfungen.

Herr Dolgner:     Okay. Sehr gut. Sie reden immer von Produkten. Was soll man da genau darunter verstehen?

Herr Prasse:       Produkte können in diesem Projektkurs vorher entwickelt worden sein, das heißt beispielsweise, ob das aus dem musikalischen Bereich ein Musikstück ist, ob das aus einem Debattierbeitrag heraus entwickelt ist, ob bei den Naturwissenschaften ein Experiment durchgeführt worden ist, also solche Dinge sind beispielsweise Produkte, die man dann mit in die Prüfung bringt und die man dann in der Prüfung präsentiert, sagt, wie diese miteinander zusammenhängen und was man mit diesen Produkten hinterher auch machen kann.

Herr Dolgner:     Ja, super interessant. Aber warum wird es dafür nun ein fünftes Abiturfach geben und nicht vielleicht einfach eine Wahloption – also, dass ich mir im vierten Abifach als Schüler überlegen kann, ob ich eine herkömmliche mündliche Prüfung oder vielleicht eine Präsentationsprüfung oder eine Besondere Lernleistung mache?

Herr Prasse:       Wir finden diese Art von Kompetenzen in den Kernlehrplänen so wichtig, dass wir meinen, dass sie nicht abwählbar sein sollte in einer Abiturprüfung. Das heißt, künftig werden diese fünf Abiturprüfungen in ihrer Gesamtheit prinzipiell so angelegt sein, dass die Gesamtheit auch der Kompetenzen der Kernlehrpläne überprüft werden kann. Und wie gesagt, weiterhin werden Abiturklausuren verbindlich bleiben, die mündliche Prüfung auch und dieses fünfte Fach kommt einfach dazu. Wichtig ist aber nicht nur, die Breite der Kompetenzen dort abzuprüfen, sondern wichtig ist uns auch, die Wahloption der Schülerinnen und Schüler zu erhöhen, um sich eben in der Schullaufbahn auch profilieren zu können, das heißt zwei naturwissenschaftliche Prüfungsfächer zu wählen, bislang nicht möglich. Und wie gesagt, diese qualitative Weiterentwicklung des Abiturs auch mit dieser Breite von zukunftsrelevanten Formaten ist eine Forderung, die uns aus der Wissenschaft und Wirtschaft schon seit langem erreichen und die wir jetzt auch umsetzen können. 

Herr Dolgner:     Das hört sich alles auch für die Zukunft gedacht super an. Nur es sollen dann fünf statt vier Prüfungen sein, und dann soll es auch Neuerungen bei den Prüfungsformaten geben - das könnte in den Schulen bei den Lehrkräften ja durchaus als Mehrbelastung wahrgenommen werden. Wird es denn auch auf der anderen Seite eine spürbare Entlastung geben?

Herr Prasse:       Ja, das wird es. Dieser Zusammenhang von Belastung und Entlastung ist eine Frage, die uns generell bei allen Vorhaben, die wir hier im Ministerium haben, natürlich immer auch berührt und die wir mitdenken und natürlich bei so einem großen Thema wie der Reform der gymnasialen Oberstufe selbstverständlich auch. Wir werden Entlastungen dahingehend ausarbeiten beziehungsweise umsetzen, dass bereits im Vorlauf zum Abitur Leistungsüberprüfungen in der Einführungsphase und der Qualifikationsphase Veränderungen unterliegen werden. Die Facharbeit in ihrer bisherigen Form wird entfallen, das ist ein Entlastungstatbestand. Wir werden die Anzahl der Klausuren in der Oberstufe reduzieren, also ersetzen können durch alternative Formen der Leistungsüberprüfung vor dem eigentlichen Abitur. Und wir werden bei den Klausurdauern den Schulen die Möglichkeit einräumen, diese eigenständig in einem bestimmten Rahmen festzulegen, also auch kürzere Klausuren in der Oberstufe schreiben zu können. Das ist die eine Seite. Wir werden uns aber auch auf Bundesebene, also auf der KMK-Ebene weiterhin dafür einsetzen, dass die aus unserer Sicht überlangen Abiturprüfungszeiten, die bundesweit gelten, auch wieder auf ein vernünftiges Maß zurückgeführt werden. Da hat es in den letzten Jahren eine Entwicklung gegeben, die wir ein bisschen schwierig finden. Das ist sozusagen die NRW-Perspektive. Wie gesagt, man darf die bundesweite Perspektive an anderer Stelle auch nicht außer Acht lassen. Nordrhein-Westfalen war bislang und wird auch künftig das einzige Bundesland sein, das nicht in allen Fächern Klausuren schreibt. Und auch das ist, glaube ich, ein Beitrag des Erhalts einer Entlastung, die wir über viele Jahre auch hatten. 

Herr Dolgner:     Also, für mich wirkt das wie ein bunter Strauß an neuen Regelungen, aber entsprechende Entlastungen sind toi toi toi mit eingeplant. Ab wann sollen diese Änderungen denn nun greifen?

Herr Prasse:       Diese Regelungen werden ganz gründlich vorbereitet. Sie werden erstmalig gelten für die Schülerinnen und Schüler, die ab dem 1.8.2026 in die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe eintreten. Das heißt, das sind jetzt im Schuljahr 2024/25 die Schülerinnen und Schüler, die jetzt gerade in die 9. Klasse gekommen sind. Das heißt, erste Umsetzung eines fünften Abiturfachs dann im Abitur 2029.

Herr Dolgner:     Und um das nun zu konkretisieren und konkret vorzubereiten, welche Schritte sind da jetzt nötig? Wie sieht da der Zeitplan aus? Bei diesem Konvolut an Neuerungen und dem Zeitrahmen, den Sie gerade vorgegeben haben, das ist eng gestrickt!

Herr Prasse:       Ja. Wir sind natürlich dabei, diese Dinge jetzt schon vorzubereiten. Das heißt, zwei große Regelwerke müssen bearbeitet werden. Zum einen ist das die neue Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die gymnasiale Oberstufe. Das ist die eine Seite, wo die ganzen formalen Regelungen verankert werden. Und dann alles, was fachlich ist, wird derzeit in die neuen Kernlehrpläne eingearbeitet. Da sind wir schon dabei. Das Ganze soll so sein, dass es mit ungefähr einem Jahr Vorlauf vor dem Inkrafttreten, also 1.8.2026 soll es ja losgehen, also Mitte 2025 fertig sein soll, sodass wir ein ganzes Jahr Zeit haben, das Ganze zu implementieren. Das heißt mit den Schulen, mit der Schulaufsicht sozusagen ins Gespräch kommen, das Ganze dann für die Schulen dann so vorzubereiten, dass man das Ganze dann auch gut mit Vorlauf in den Schulen planen kann.

Herr Dolgner:     Apropos Planung für die Schulen: Wie können denn Schulen, wenn sie Interesse haben, und ich denke mal, das haben sie, schon jetzt zu irgendwelchen Informationen kommen, um sich schon jetzt darüber in Kenntnis zu setzen oder vielleicht auch den Prozess zu verfolgen? Wo kann man da was nachsehen? 

Herr Prasse:            Wir haben die Kommunikation ja bereits vor den Sommerferien begonnen. Zu dem Zeitpunkt, als dieses Eckpunktepapier vom Kabinett verabschiedet worden ist, haben wir eine Schulmail an die Schulen geschickt, um sozusagen einen Startpunkt zu setzen: Da kommt was, ihr könnt euch ungefähr darauf einrichten, wann etwas kommt. Neben diesem Podcast nutzen wir natürlich alle anderen Möglichkeiten auch: Schule NRW wird dazu einen Artikel enthalten. Wir haben eine Homepage entwickelt, wo die tagesaktuellen Dinge eigentlich zu finden sind. Es wird eine FAQ-Liste geben. Und wie gesagt, wir werden weiterhin über die bekannten Kommunikationskanäle für alle offen das Ganze auch weiterhin kommunizieren. 

Und wir haben einen zweiten Strang, der hat sich bei der Umstellung von G8 auf G9 wirklich auch als sehr positiv herausgestellt: Wir werden als MSB-Vertreter auch in die Schulleiterdienstbesprechungen gehen, um im direkten Kontakt mit den Schulen die Möglichkeit zu eröffnen, dann eben auch Fragen zu stellen und von unserer Seite auch die Antworten zu geben, die die Schulen auch brauchen, um weiter planen zu können. 

Herr Dolgner:     Da sind wir und bleiben sehr gespannt, ob das tatsächlich in dem Zeitstrahl, den Sie da genannt haben, auch alles umgesetzt wird. Ich bin mir sicher, das passt dann. Lieber Herr Prasse, ich danke Ihnen für das schöne Gespräch.

Herr Prasse:       Gern, lieber Herr Dolgner. Tschüss.