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Neuer Trend: Theater im Klassenzimmer

von Andreas Uphues

 

 

Joachim-Hermann Luger spielt in einer Produktion des Herner "Theater Kohlenpott" das Stück "Klamms Krieg". Darin wird der Lehrer Klamm von der Klasse angeklagt, den Selbstmord eines Mitschülers provoziert zu haben. Der Schüler brauchte sechs Punkte aus Klamms Deutsch-Leistungskurs, um das Abitur zu erreichen. Klamm gab ihm nur fünf. Die Ausgangslage des Dramas: In einem Brief erklären die Schüler ihrem Lehrer den Krieg - und schweigen. In neun Szenen monologisiert also Luger als Lehrer Klamm vor der schweigenden Klasse seinen inneren Kampf. Seine Reaktion auf die schwere Anschuldigung verändert sich: Arrogante Ablehnung und herablassender Hohn gegenüber den Schülern weicht Selbstbehauptung. Doch die überhebliche Oberlehrer-Fassade bröckelt. Schließlich ist der Lehrer verwundet, angeschlagen. Die angestaute Frustration von 30 Berufsjahren bricht aus ihm heraus; er ist ausgeblutet. "Bemerkenswert, wie vielschichtig und dicht die Thematik in nur 70 Minuten herausgearbeitet wird", schreibt die WAZ über Luger in dem 2002 mit dem Jugendtheaterpreis ausgezeichneten Stück. Die anfängliche Ruhe des Stücks weiche mehr und mehr einer Stimmung der Beunruhigung. Und: "Luger ist wunderbar lehrerhaft, die Inszenierung führt souverän den Spannungsbogen bis zum Schluss. Sehenswert." Anschließend - immer - die Diskussion mit den jungen Zuschauern in der Klasse. "Ohne geht’s nicht!" unterstreicht Luger. Dafür sei das Thema zu heikel. Rund 30mal konnte der Schauspieler mit Oberstufenschülern so über seine Rolle und gleichzeitig auch grundsätzlich über die allgemeine Rollenverteilung zwischen Lehrern und Schülern diskutieren.

Schulklasse wird überrumpelt

Um Rollenverteilungen geht es auch in dem Klassenzimmerstück "Wolken sind ziehender Ärger", das zum Beispiel vom Bochumer Schauspielhaus Schulen in NRW angeboten wird. Es ist auch für jüngere Schüler geeignet. Hier kommt ein besonderer Überraschungseffekt hinzu. Die Klasse wird förmlich vom Schauspiel überrumpelt. Der Lehrer kündigt seinen Schülern plötzlich einen Probeunterricht an. "Frau Müller" sei dafür extra von der Bezirksregierung gekommen. Erste Irritation in der Klasse. Fünf Minuten verspätet eilt "Frau Müllers" Assistent in den Raum, sich unterwürfig entschuldigend. Im Laufe der scheinbar absurden Schulstunde kehren sich die Verhältnisse dramatisch um. Und immer mehr Schülern wird klar, dass sie Theater im umfassenden Wortsinn erleben. "Frau Müller" ist Martina van Boxen und seit Herbst 2005 die neue Leiterin des "Jungen Schauspielhauses" am Schauspielhaus Bochum. Sie spielte bereits über 40mal mit "Assistent", aber eigentlich Ehemann und Schauspiel-Kollege Michael Habelitz das Stück in Klassenzimmern. Ein Mann und eine Frau in einem Klassenzimmer in scheinbar klaren Verhältnissen: Er zunächst ohne eigene Meinung, sie kämpft gegen Chaos, Unwissenheit und Sittenverfall. Das Wer-ist-was-Spiel über Beziehungen, Macht und Abhängigkeiten bewegt sich zwischen Absurdität und Tragik, Witz und Wahnsinn. Nach dem Stück die Auflösung und Diskussion mit den Schülern. Erstaunlich und überraschend wie selbst Fünftklässler Bezüge zu ihrem eigenen Leben herstellen- Macht und Ohnmacht, Ungerechtigkeit und, nach vertauschten Rollen, Rache. Oder aber die Macht der Liebe. Ein Spiel oder nicht? Das Bochumer Schauspielhaus hat "Wolken" weiter im Repertoire, plant aber auch zukünftig weitere Klassenzimmerstücke.

 

Das "Theater Kohlenpott" hat seine Klassenzimmerreihe bereits mit dem Stück "Escape" fortgesetzt. Darin spielt Till Beckmann einen jungen Mann, der die Geschichte seines Freundes Jan erzählt: Der will einfach abhauen! Von Eltern, Lehrern, Mitschülern, von allen, die ihn einfach nicht verstehen. Und so zieht Jan sich immer weiter zurück, in seine eigene Welt. Jahre später versucht dieser Freund zu verstehen, was damals eigentlich geschah. Er befragt Schüler und Lehrer, findet alte Fotos, die Briefe, Gedichte und Videos von Jan und versucht herauszufinden, warum Jan sich im Biologieraum mit einer Pistole verbarrikadierte. Und: Warum niemand vorher etwas bemerkte.

Info: Die erwähnten Klassenzimmerstücke sind für rund 300 Euro bei den jeweiligen Theatern buchbar. Auch andere Häuser bieten Klassenzimmerproduktionen an. Teilweise werden solche Auftritte von Stadtverwaltungen oder Fördervereinen gefördert Weitere Infos:
www.theater-kohlenpott.de, www.schauspielhausbochum.de, www.theaterverzeichnis.de