Über neue vollzeitschulische Bildungsangebote am Berufskolleg die Fachkräfte von morgen heranbilden
Wie lassen sich Jugendliche für MINT-Themen und -Berufsfelder begeistern? Die Schulversuche Berufsfachschule Ingenieurtechnik und FOS Informatik machen es vor.
[Schule NRW 07/08-23]
Die dringend gesuchten Fachkräfte von morgen stehen im Mittelpunkt von zwei Schulversuchen, die derzeit an nordrhein-westfälischen Berufskollegs durchgeführt werden. Beide Schulversuche haben einen MINT-Schwerpunkt, einmal im technischen und ein einmal im informationstechnischen Bereich.
Seit dem Schuljahr 2019/2020 gibt es den Schulversuch Berufsfachschule Ingenieurtechnik. Dieser hat das Ziel, Jugendlichen interdisziplinär vielfältige technische Kompetenzen zu vermitteln und sie damit auf eine Tätigkeit im ingenieurwissenschaftlichen Bereich vorzubereiten. Der Schulversuch baut auf dem erfolgreich abgeschlossenen Schulversuch Ingenieurwissenschaften im Beruflichen Gymnasium auf, der im Schuljahr 2019/2020 in das Regelsystem überführt wurde.
Der zweite Schulversuch ist die Fachoberschule für Informatik. Dieser ergab sich aus einem Beschluss des Landtags von Nordrhein-Westfalen „Berufliche Bildung im digitalen Zeitalter sichern – Fachoberschule für Informatik ermöglichen“ im Jahr 2019. An mehreren Berufskollegs wird seit dem Schuljahr 2020/2021 geprüft, wie sich umfangreiche digitale Kompetenzen vermitteln lassen. Dazu dienen die Profilfächer Softwareentwicklung und -engineering, Datenbanken und Betriebssysteme/Netzwerke. Neben der schulischen Ausbildung stellt die Fachpraxis einen wesentlichen Bestandteil dieses Schulversuches dar.
Beide Schulversuche befinden nun auf der Ziellaufbahn. Der folgende Artikel stellt die Entwicklungen und aktuellen Erkenntnisse vor.
Berufsfachschule Ingenieurtechnik (BFS Ingenieurtechnik)
Am Schulversuch „Berufsfachschule Ingenieurtechnik“ nehmen 21 Berufskollegs aus fünf Regierungsbezirken teil. Hintergrund des Schulversuchs war der Fachkräftemangel bei Ingenieurinnen und Ingenieuren im Bereich Technik. Grund für den neuen Bildungsgang: Es fehlte bisher ein Angebot, das Jugendliche mit technischem Interesse anspricht, die sich noch nicht auf eine bestimmte Fachrichtung festlegen möchten. Demnächst soll entschieden werden, ob sich die Berufsfachschule für Ingenieurtechnik zukünftig als Regelangebot für alle Berufskollegs eignet.
Erprobt wurde unter anderem das Profilfach Ingenieurtechnik, als Konglomerat aus Bautechnik, Elektrotechnik und Maschinenbautechnik. Ingenieurtechnik hat nicht nur den Anspruch, den Schülerinnen und Schülern die fachlichen Grundlagen der einzelnen Schwerpunkte zu vermitteln, sondern verfolgt im besonderen Maße interdisziplinäres Denken und Handeln. Weitere Unterrichtsfächer wie Physik, Technische Informatik und die Fachpraxis spielen im Unterricht ebenso eine wichtige Rolle wie Projektorientierung. Die Schülerinnen und Schüler werden umfassend auf ingenieurtechnische Studiengänge sowie auf anspruchsvolle Berufsausbildungen im technischen Bereich vorbereitet.
Für diesen Kompetenzerwerb waren neue Bildungspläne für Ingenieurtechnik und weitere Schwerpunktfächer erforderlich, die von Lehrkräften der Schulversuchsstandorte im Vorfeld entwickelt wurden. Damit der Unterricht gut gelingt, wurden die Lehrkräfte, die das Profilfach Ingenieurtechnik unterrichten, durch einen Zertifikatskurs auf den Unterrichtseinsatz vorbereitet. Dies war erforderlich, weil der Unterricht verschiedene ingenieurtechnische Einzeldisziplinen verbindet und insofern von den Lehrkräften hohe Flexibilität und entsprechende Kompetenzen im breiten MINT-Spektrum erfordert. Zwischenzeitlich wurde Ingenieurtechnik auch in die Lehramtszugangsverordnung (in der Fassung vom 18. Juni 2021) aufgenommen und ist damit potentielles reguläres Ausbildungsfach für zukünftige Lehrkräfte am Berufskolleg.
Eine strukturelle Besonderheit zeichnet diesen Schulversuch aus: Bereits nach der Jahrgangsstufe 12 wird das Zeugnis über die Fachhochschulreife (schulischer Teil) erworben. In der Jahrgangsstufe 13 wird der Abschluss als technische Assistentin bzw. als technischer Assistent mit einem spezifischen Schwerpunkt ermöglicht. Dieses Angebot wurde nur von knapp 10 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die den Bildungsgang begonnen haben, wahrgenommen. Die meisten entschieden sich, wie die Entwicklung zeigt, aber bereits nach zwei Jahren für den Übergang in die duale Ausbildung oder das Studium.
Fachoberschule für Informatik
In der Fachoberschule Informatik (FOS Informatik) sollen Schülerinnen und Schüler mit mittlerem Schulabschluss auf eine duale Ausbildung oder ein Studium im IT Bereich vorbereitet werden. Mehr als zwei Drittel der Jugendlichen, die in Nordrhein-Westfalen eine duale IT-Ausbildung absolvieren, verfügen bereits über eine Hochschulzugangsberechtigung. Diese wurden zum allergrößten Teil im allgemeinbildenden System erworben, also nicht über Angebote der beruflichen Bildung. Vor diesem Hintergrund macht eine Stärkung der Fachoberschule Informatik bei der Qualifizierung von IT-Fachkräften Sinn.
Die Kammern unterstützen das Angebot wegen der klaren Passung zum dualen System und der Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler vor der Berufsausbildung im Praktikumsjahr gut kennenzulernen und an sich zu binden. Die FOS Informatik kann wegen des mit den Berufsbildpositionen abgestimmten Curriculums sogar als erstes Jahr der dualen IT-Ausbildung angerechnet werden. Einzige Herausforderung bleibt es, genügend qualifizierte Praktikumsplätze zu finden.
Dass die Jugendlichen, die in der FOS Informatik die Fachhochschulreife erwerben, eine gute fachliche Grundlage für eine IT-Ausbildung oder ein IT-Studium haben, war auf curricularer Ebene bereits absehbar. Im Hinblick auf das angestrebte Ziel, vor dem Studium berufliche Kenntnisse zu sammeln, bestätigen in Evaluationsergebnissen die Schülerinnen und Schüler eine Erweiterung ihrer informationstechnischen Kompetenzen.
Die Antworten lassen eine große Zufriedenheit mit dem Bildungsgang erkennen: Mehrheitlich sehen die Befragten eine erfolgreiche Förderung ihrer Informatik-Kompetenzen, die Unterrichtsinhalte entsprechen den Erwartungen, bestärkt in ihrem Interesse für die Informatik empfehlen sie den Bildungsgang weiter.
Mit dem Übergang in das Regelsystem bietet sich für interessierte Schulen nun die Möglichkeit ihr Bildungsangebot im IT-Bereich zu erweitern.
Zwischenergebnisse
Zusammengefasst lässt sich sagen: Beide Schulversuche zeigen im Lauf der bisherigen Erprobung, wie Berufskollegs mit innovativen neuen Angeboten im vollzeitschulischen Bereich, die um praktische Ausbildungsanteile ergänzt werden, zur Sicherung des Fachkräftebedarfs im wichtigen MINT-Bereich beitragen können.
Für die Berufsfachschule Ingenieurtechnik legen die bisherigen Erkenntnisse nahe, dass den Bedürfnissen der Jugendlichen und des Ausbildungs- und Arbeitsmarkts am besten mit einer Etablierung als zweijähriger Berufsfachschul-Bildungsgang im Regelsystem Rechnung getragen werden können.
Für die Fachoberschule Informatik zeigt die bisherige Evaluation eine erfreulich hohe Akzeptanz bei allen Beteiligten vor Ort. Es gibt somit Bedarf an einem entsprechenden Angebot, das Jugendliche bereits über das System der Fachoberschule für die anspruchsvollen vielfältigen IT-Ausbildungen und das Studium vorbereitet.
Autoren: Beate Osburg und Dr. Andreas Künkler, Ministerium für Schule und Bildung NRW
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