Wi kürt Platt
Sich mit der Familie auf Platt unterhalten, eine neue Sprache kennenlernen und einen Sprachenklang hören, den man mit Heimat verbindet? Es gibt viele Gründe für Schülerinnen und Schüler, sich mit dem Niederdeutschen zu beschäftigen.
[Schule NRW 03-22]
Die Motivation, in der Schule Niederdeutsch zu lernen, ist bei einigen Schülerinnen und Schülern in Münster und im Münsterland groß. Viele kennen die Sprache aus ihrer Familie und möchten sich auch mit ihren Großeltern auf Platt unterhalten können. Für andere steht im Vordergrund, dass sie Spaß am Klang der Sprache haben oder gern eine weitere Sprache lernen wollen. Darum haben manche bereits in der Grundschule und anschließend an der weiterführenden Schule eine Niederdeutsch-Arbeitsgemeinschaft belegt.
Wissenschaftlich begleitetes Schulprojekt
Seit 2014 nehmen Grundschulen, seit 2019 auch Gymnasien und Gesamtschulen mit ihren Niederdeutsch-Arbeitsgemeinschaften an einem Schulprojekt teil, das das Ministerium für Schule und Bildung Nordrhein-Westfalen in Münster und im Münsterland durchführt. Koordiniert durch die Bezirksregierung Münster, vermitteln dort auf Ebene von Arbeitsgemeinschaften Lehrkräfte oder Externe, wie etwa aus Heimatvereinen, das Niederdeutsche.
Wissenschaftlich wird das Projekt von Prof. Helmut H. Spiekermann begleitet, dessen Professur an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Sprachwissenschaft, Schwerpunkt Niederdeutsch) am Germanistischen Institut angesiedelt ist. Zugleich ist er Sprecher des Centrums für Niederdeutsch.
In Zusammenarbeit mit zehn Partnerschulen im Münsterland (davon sechs Grundschulen und vier weiterführende Schulen) hat Prof. Spiekermann an der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien für „Niederdeutsch in der Schule“ in den Arbeitsgemeinschaften gearbeitet sowie eine Lehrveranstaltung zu diesem Thema durchgeführt, an der auch Lehrkräfte aus den Partnerschulen teilnahmen. Ergebnis dieser Veranstaltung waren Entwürfe für Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe I und die Grundschule. Zudem erfasst der Lehrstuhl Informationen zum Status des Niederdeutschen bei Schülerinnen und Schülern, deren Eltern und Lehrkräften an Schulen im Münsterland. Darin geht es um Niederdeutschkenntnisse, deren Verwendung und Bewertung durch die Teilnehmenden. Die Ergebnisse der Fragebogenstudie sollen genutzt werden, um Informationsmaterial zu erstellen oder Anlässe zum Gebrauch des Niederdeutschen zu fördern, etwa durch die Entwicklung einer Niederdeutsch-App.
Beirat Niederdeutsch
Auch auf Landesebene gibt es eine intensive Beschäftigung mit dem Niederdeutschen. So wurde im Jahr 2019 der Beirat Niederdeutsch mit Vertreterinnen und Vertretern des nordrhein-westfälischen Landtags, der Staatskanzlei NRW, des Ministeriums für Schule und Bildung NRW, des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW, des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW, der Wissenschaft sowie Vertretern des Niederdeutschen gegründet. Dies zeigt, dass es auch im parlamentarischen Raum und innerhalb der Landesregierung eine breite Unterstützung für das Niederdeutsche gibt. Im Beirat findet ein regelmäßiger Austausch zur aktiven Förderung des Niederdeutschen statt.
Säg mi äs dinen Namen?!
Im dritten Jahr leitet nun Hubert Adick als Lehrer für Latein und Katholische Religionslehre die Niederdeutsch-AG am Gymnasium Laurentianum Warendorf. Rund 20 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 5 bis 7 lesen und übersetzen unterhaltsame Kurzprosa aus dem Niederdeutschen. Oft bringen die Schülerinnen und Schüler auch von zu Hause Texte aus dem Fundus der Großeltern mit.
Hubert Adick ist mit dem Niederdeutschen auf ganz praktischem Weg in Kontakt gekommen. Als gelernter Landmaschinenschlosser hat er vor dem Lehrerberuf auf dem elterlichen Betrieb gearbeitet und begegnete im täglichen Arbeitsleben der Regionalsprache der örtlichen Bevölkerung. Heute ist es sein großer Wunsch, Niederdeutsch als Kulturgut zu erhalten, indem er junge Menschen dafür begeistert.
Auch der regionale Bürgerfunk ist auf diese AG aufmerksam geworden, so dass jetzt an einer Zusammenarbeit gearbeitet wird.
Wao küms du dän hiär?
Die Lehrerin Anne Fink hat an der Gesamtschule Warendorf eine AG über einen längeren Zeitraum anbieten können. Auch an der Gesamtschule ist eine große Motivation der Plattdeutsch lernenden Schülerinnen und Schüler, die eigenen Großeltern besser verstehen zu wollen. Durch einen spielerischen Ansatz weckt Anne Fink die Begeisterung der Teilnehmenden. Sie können sich auf Plattdeutsch vorstellen und Dialoge schreiben, lernen auch typische Redensarten kennen. So entstand zum Beispiel ein plattdeutsches Memory in Eigenproduktion. Leiterin Fink hofft, bald wieder eine AG anbieten zu können, und würde gern mit Laienspielgruppen im Theaterbereich kooperieren.
Sie selbst hat schon in ihrem Studium an der Universität Greifswald den Schwerpunkt Niederdeutsch belegt und ist heute zudem die Leiterin des Forums für Niederdeutsche Sprachpflege beim Westfälischen Heimatbund Münster. Wenn es um die Frage geht, welche Voraussetzungen man mitbringen sollte, um eine Niederdeutsch-AG an nordrhein-Westfälischen Schulen anbieten zu können, ist sie sich sicher: Die sichere Beherrschung des Plattdeutschen sei nicht unbedingt notwendig. Vielmehr könne auch das gemeinsame Entdecken der Sprache von hohem Reiz sein. Eine regionale Sprache kennenzulernen, führe dazu, die Wurzeln der Region zu verstehen. Wohin ihr Lebensweg die Schülerinnen und Schüler auch führen werde, die eigene Sprache sei das, was sie am einfachsten aus der Heimat mitnehmen können.
Dr. Werner Peters, Schulleiter der Gesamtschule Lengerich Tecklenburg, verweist auch auf die engen sprachlichen Verwandtschaften des Niederdeutschen etwa mit dem Niederländischen. Nachdem die Kooperation mit dem Heimatverein pandemiebedingt stark reduziert werden musste, übernahm der Schulleiter kurzerhand selbst die Leitung der Arbeitsgemeinschaft mit etwa zehn Schülerinnen und Schülern. Von sich selbst sagt er, trotz seines Studiums in Münster spreche er noch mit „rheinischem Akzent“ Plattdeutsch. Die Begeisterung für plattdeutsche Lieder und lebensnahe einfache Kommunikation gebe er gern weiter.
Auch er greift für die Vermittlung der Sprache gern auf Materialien der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zurück.
An der Gottfried-von-Cappenberg-Grundschule Münster bietet die Lehrerin Regina Robbes seit 2015 Teilnehmenden der 3. und 4. Klassen im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft an, das Niederdeutsche zu erlernen. Zuvor war sie an der Entwicklung von entsprechendem Unterrichtsmaterial gemeinsam mit Studierenden von Prof. Spiekermann beteiligt. Nun verwendet sie neben eigenen Texten den Reader der Universität Münster wie auch Literatur, die sie über den Stadtheimatbund Münster bezieht. Da die Schule im städtischen Raum liegt, haben die Schülerinnen und Schüler dort weniger Vorkenntnisse über den Sprachgebrauch in der Familie als im ländlichen Raum, was aber der Motivation nicht schadet. Das Niederdeutsche werde hier wie eine Fremdsprache gelernt. Besonders viel Spaß mache den Teilnehmenden das Einstudieren von Theaterszenen. Bevor die Pandemie dies unmöglich machte, lud der Stadtheimatbund Münster einmal im Jahr ein und die Schülerinnen und Schüler konnten ihre Theaterstücke vorführen, was natürlich für Begeisterung sorgte und eine schöne Anerkennung war. Auch beim Frühlings- und Herbstsingen in der Schule durfte der Auftritt auf Plattdeutsch nicht fehlen
Insgesamt bieten neben engagierten Lehrkräften vielfach Ehrenamtliche die Niederdeutsch-Arbeitsgemeinschaften an Schulen an. Das Angebot an AGs Niederdeutsch soll erweitert und gesichert werden. Deswegen werden Lehrkräfte und ehrenamtlich Engagierte gesucht, die gern das Niederdeutsche/Plattdeutsche im Rahmen einer schulischen Arbeitsgemeinschaft vermitteln möchten.
Interessierte können sich gern für weitere Informationen an die Bezirksregierung Münster wenden. Kontakt: Herr LRSD Schade, 0251/411-5976.
Autorin: Dr. Kerstin Roske, Ministerium für Schule und Bildung NRW
Niederdeutsch? Plattdeutsch?
Der Begriff des Niederdeutschen wird eher im akademischen Bereich genutzt. Häufiger verwendet man das Synonym „Plattdeutsch“. Dies erfuhr in seiner Geschichte mehrfach eine Umdeutung. Im 16. Jahrhundert meinte „Plattdeutsch“ die Sprache, die allgemein verständlich war (platt = deutlich). Nachdem das Hochdeutsche zunehmend als Schriftsprache gebraucht wurde, galt der Begriff „Platt“ als eher abwertend für die Sprache der einfachen Bevölkerung. Der Sprachwissenschaft und ihrem Interesse für Dialektforschung ist es zu verdanken, dass heutzutage Plattdeutsch als neutraler Begriff für Regionalsprachen etabliert ist.
Politischer Hintergrund
Nordrhein-Westfalen hat sich durch die Ratifizierung wichtiger Teile der EU-Charta der Regional- oder Minderheitensprachen aus dem Jahr 1992 dazu verpflichtet, Minderheiten- und Regionalsprachen zu schützen. Die Charta wurde 1999 von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert und verpflichtet zum Schutz von fünf Minderheitensprachen und einer Regionalsprache. Nordrhein-Westfalen schützt seither Niederdeutsch als Regionalsprache. Im schulischen Bereich geschieht dies neben dem Schulprojekt auch durch die (Kern-)Lehrpläne, die im Fach Deutsch für alle Schulformen vorsehen, Regionalsprachen wie etwa das Niederdeutsche im Unterricht zu thematisieren.
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