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Wie Bildungspartner kulturelles Potenzial in Schulen entfalten

Schülerinnen und Schüler führen eine Theater-Performance auf.

Wie Bildungspartner kulturelles Potenzial in Schulen entfalten

„Lost Places – Schritte in ein Quartier“, das Kooperationsprojekt der Willy-Brandt-Schule in Mülheim mit dem Theater an der Ruhr, zeigt beispielhaft, wie Schülerinnen und Schüler mit außerschulischen künstlerischen Partnern ihre Umgebung auf neue Weisen entdecken und ihre eigene Identität erforschen.

[Schule NRW 12-23]

Häuser im Dornröschenschlaf: „Es gibt Häuser, die halten mich fest. Ich bleibe stehen, gucke. Das ist ein persönlicher Moment. Ich nehme die Atmosphäre des Ortes auf – Gerüche, die Seele, die Farben, die Risse, die Schönheit. Manches ist dreckig, heruntergekommen – Ein lost place? Vielleicht hat sich dieser Ort nur weggeduckt. Vielleicht war es nur ein Dornröschenschlaf. Vielleicht ist er aber auch verloren.“ Diese Worte spiegeln die Intensität und die Tiefe wider, mit der sich Schülerinnen und Schüler im Rahmen einer Bildungspartnerschaft auf die künstlerische Suche nach Geschichten des Quartiers ihrer Schule begaben und aus ihren Erfahrungen eine Performance entwickelten.

 

Kulturelle Bildung mit Partnern

Projekte wie dieses werden durch die systematische und langfristige Zusammenarbeit zwischen Schulen und außerschulischen Partnern ermöglicht. Seit 2005 unterstützt die Initiative Bildungspartner NRW Schulen und insbesondere kommunale Bildungs- und Kultureinrichtungen dabei, verlässliche Kooperationen aufzubauen. Das Handlungsfeld kulturelle Bildung stellt hierbei einen besonderen Schwerpunkt dar. Kulturelle Bildung erweitert nicht nur die fachlichen Fähigkeiten, sie unterstützt die Persönlichkeitsentwicklung und fördert zudem soziale Kompetenzen auf unterschiedlichen Ebenen. Museen öffnen Türen zu vergangenen und neuen Welten. Die Angebote von Musikschulen stärken die individuelle Ausdrucksfähigkeit, Ausdauer und Teamfähigkeit. Häuser und Akteure darstellender Kunst bieten der diskursiven Verhandlung persönlicher, literarischer und gesellschaftlicher Themen eine Bühne. Kultur wird durch Bildungspartnerschaften erfahrbar gemacht, lädt zur Mitgestaltung ein und eröffnet neue Perspektiven.

 

Stückentwicklung „Lost Places – Schritte in ein Quartier“

Die Stückentwicklung „Lost Places“ entstand aus einem solchen Kooperationsprojekt im Rahmen der Initiative „Bildungspartner NRW - Bühne und Schule“ mit einem Theaterkurs des Jahrgangs 12 der Willy-Brandt-Schule. Unter der fachkundigen Anleitung der Lehrerin Hildegard Schroeter-Spliethoff und mit Unterstützung der theaterpädagogischen Abteilung des Theaters an der Ruhr durch Julia Meschede begaben sich die Schülerinnen und Schüler auf eine künstlerische Reise in ihr Quartier. Sie nahmen sich dabei des Stadtteils Mülheim-Styrum, in dem sich die Schule befindet, fragend an: Wie hat mich dieser Ort geprägt? Was soll sich ändern? Wem gehört die Stadt?

 

„Silent Walk“ als Methode und Performance

Die künstlerische Recherche begann mit einem „Silent Walk“, bei dem die Schülerinnen und Schüler völlig still durch Mülheim-Styrum zogen. Es gab keinen vorgegebenen Weg, die Gruppe organisierte sich spontan selbst und entdeckte so den Weg. Bei diesem besonderen Spaziergang entstanden Fotos von Orten und Umgebungen, die in den Blick der Jugendlichen rückten. Die Fotos präsentieren einzelne Gebäude, Baustellen, Zäune, Grünflächen und Steinwüsten. Im Nachgang wurden aus den intensiven Betrachtungen Gedanken, Gespräche und schließlich Texte. Die Straßen und Häuser wurden dabei zu Trägern von erfundenen Geschichten und eigenen Erinnerungen: „Geht man nach rechts, kommt man in den Flur und links, eine steile Holztreppe hinauf, kommt man zum Schlafzimmer. Dort hat mir meine Oma abends eine Gutenachtgeschichte erzählt. Heute schläft niemand mehr dort. Dieses Haus besitzt eine Seele und diese darf nicht gestört werden.“

Die Auseinandersetzung und die sich daraus resultierende Stückentwicklung erstreckte sich auf verschiedene Phasen: Die Schülerinnen und Schüler brachten Ideen ein, die sie anschließend ausprobierten und im Entwicklungsprozess weiterverfolgten oder auch wieder verwarfen. Entscheidungen wurden in Gesprächs- und Reflexionsrunden getroffen.

Die „Silent Walks“ des Projektkurses fanden Einzug in die Performance und spiegelten sich im Bühnenbild des Stückes wider: Mit Hilfe von Malerkrepp wurde das Straßennetz des Stadtteils abstrahiert dargestellt. In der Performance konnten die Jugendlichen auf diese Weise die Wege und Straßen wieder und wieder ablaufen, was der Inszenierung einen Bewegungsrahmen gab. Das „Straßennetz“ diente als eine choreografische Vorgabe und verortete die Narration des Stückes. Gangarten, Gedanken und Erfahrungen konstruierten eine Eigendynamik und gaben den Spielerinnen und Spielern gleichzeitig eine entscheidende Orientierungshilfe.

 

Jugendlichen eine Bühne geben

Die Theatergruppe traf sich regelmäßig einmal in der Woche für eine Schulstunde. Zusätzlich zu diesen regelmäßigen Treffen gab es im Januar und Februar 2023 ganze Probentage, die auf den Bühnen des Theaters an der Ruhr stattfanden und an denen losgelöst vom Rhythmus des Schulalltags und in professionellem Ambiente ganz besonders intensiv gearbeitet werden konnte. Der künstlerische Ort, an dem im Nebenraum auch ein Profistück entwickelte wurde, entfaltete seine eigene Dynamik.

In einer Projektwoche im Mai 2023 wurde die Inszenierung schließlich fertiggestellt. Die Premiere von „Lost Places“ an der Willy-Brandt-Schule am 25. Mai markierte nicht nur den Höhepunkt der schulischen Projektwoche, sondern auch die Teilnahme am NRW-Schultheaterfestival „Maulheld*innen“ im Maschinenhaus Essen. Die Produktion “Lost Places – Schritte in ein Quartier“ wurde von einer Jury ausgewählt und präsentierte sich vier Tage lang neben anderen herausragenden Inszenierungen.

 

„Lost Places – Schritte in ein Quartier“ als Beispiel für gelungene Kooperation

Diese Theater-Performance ist ein Beispiel dafür, wie kulturelle Bildung durch Bildungspartnerschaften Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gibt, ihre Umgebung auf neue Weisen zu entdecken und ihre eigene Identität zu erforschen. Es zeigt, dass Unterricht mehr sein kann als das, was im Klassenraum stattfindet. Er kann in verschiedenen Formen und an überraschenden Orten stattfinden und bietet genau dadurch vielfältige Lernmöglichkeiten. Die Begegnung mit künstlerischen Ausdrucksformen und das eigene künstlerische Gestalten sind unverzichtbare Bestandteile Kultureller Bildung. Im Sinne einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung fördern Kooperationen Kreativität sowie soziale Kompetenzen und tragen zur aktiven Teilhabe der und des Einzelnen am kulturellen und gesellschaftlichen Leben bei. Die außerschulischen Partner eröffnen hierbei professionelle Settings, die die Schule alleine nicht bieten kann und von denen alle profitieren.

Kooperationen gelingen, wenn beide Partner sich auf Augenhöhe treffen und gemeinsam überlegen, welche Ziele sie verfolgen möchten. Das Theater an der Ruhr und die Willy-Brandt-Schule sind seit 2020 eingetragene Bildungspartner NRW und haben auch für die Zukunft noch viel vor: Ein weiteres gemeinsames Theaterprojekt findet noch im laufenden Schuljahr 2023/24 statt. Diesmal wird sich der Kurs „Darstellen und Gestalten“ des Jahrgangs 10 mit Unterstützung der Theaterpädagogik-Abteilung des Theaters an der Ruhr mit dem Thema „Rausch“ auseinandersetzen. Es soll eine gemeinsame Aktion mit den Schauspielerinnen und Schauspielern des Hauses entstehen.

 

Autorinnen: Anne Marx und Ronja Terjung, Bildungspartner NRW

Bildungspartner NRW

Die Geschäftsstelle Bildungspartner NRW ist die zentrale Fach- und Koordinierungsstelle für Kooperationen von Schulen und kommunalen Bildungs- und Kultureinrichtungen. Ziel des Programms ist die landesweite Etablierung von verlässlichen und langfristigen Bildungspartnerschaften. 1.500 Schulen und über 450 außerschulische Partner sind bereits Bildungspartner NRW. Sie erhalten Unterstützung durch Beratung, Fachtagungen, Kongresse und digitale Werkzeuge, wie die Bildungs-App BIPARCOURS. Zudem trägt die Geschäftsstelle Bildungspartner NRW mit Wettbewerben und Publikationen zur Öffentlichkeitsarbeit mitwirkender Einrichtungen bei.