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Jüdisches Leben an Schulen stärken – Antisemitismus entschieden entgegentreten

Rede von Ministerin Dorothee Feller vor dem Ausschuss für Schule und Bildung 8. November 2023

Portraitfoto von Dorothee Feller, Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen
© Land NRW / Ralf Sondermann

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

sehr geehrte Damen und Herren,

in der vergangenen Woche hat der nordrhein-westfälische Landtag geschlossen seine Solidarität mit Israel erklärt. Es war eine bedeutende und sehr wichtige Erklärung, denn der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober war ein terroristischer Akt, der nur auf eines abzielte: Die Zerstörung jüdischen Lebens.

Die brutale, unfassbare Gewalt, die gegenüber den Menschen in Israel verübt worden ist, vor allem jedoch unsere eigene Geschichte verpflichtet uns als Gesellschaft, mit uneingeschränkter Solidarität zu Israel zu stehen.

Wir müssen – und in diesen Zeiten besonders - dafür Sorge tragen, dass antisemitische Bestrebungen in unserer Gesellschaft nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Es ist an jedem Einzelnen von uns, klare Haltung zu zeigen und fremdenfeindlichen Hassparolen – mögen sie noch so subtil vermittelt werden – entschieden entgegenzutreten. Gerade in diesen schwierigen Zeiten müssen Jüdinnen und Juden auf unsere verlässliche Unterstützung und Freundschaft vertrauen dürfen.

Zur traurigen Wahrheit gehört, dass der Antisemitismus bereits vor dem 7. Oktober auch bei uns wieder spürbar zugenommen hat. Schon vor dem 7. Oktober mussten jüdische Synagogen, Schulen und selbst Kindergärten von Sicherheitsdiensten überwacht werden; das jüdische Leben musste schon zuvor zum Teil hinter Sicherheitsglas stattfinden. Und da unsere Schulen immer ein Spiegel unserer Gesellschaft sind, hat sich diese Entwicklung auch in den Schulen vollzogen.

Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Schulen dabei unterstützen, sowohl den aktuellen Nahost-Konflikt als auch das Thema Antisemitismus im Unterricht aufzugreifen und unseren Schülerinnen und Schülern die Kompetenzen für ein respektvolles und achtsames Miteinander auch gegenüber unterschiedlichen Kulturen zu vermitteln.  

Mit Blick auf die aktuelle Situation haben wir daher den Schulen noch in den Herbstferien umfangreiche Informationen zu Beratungsstellen und Unterrichtsmaterialien zum Umgang mit Antisemitismus und dem Thema Nahostkonflikt zur Verfügung gestellt. Vergangene Woche haben wir unser Angebot mit Webinaren zum Thema Antisemitismus und zum Umgang mit Konflikten erweitert. Die Rückmeldungen zeigen, dass unsere Schulen mit der aktuellen Situation sehr gut umgehen.

Bereits vor dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober haben die Schulen und auch die Schulaufsichten mit Blick auf die Bekämpfung des Antisemitismus bereits viel geleistet. Unsere kurzfristigen Maßnahmen bauen auf einem Fundament von verschiedenen Angeboten auf, die zum Teil bereits seit Jahren erfolgreich bestehen:

Seit 2019 kooperieren wir mit der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, die Träger der „Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit – Beratung bei Rassismus und Antisemitismus“ (SABRA) ist. SABRA hat die Aufgabe, das Schulministerium und die Schulaufsichtsbehörden bei der Konzeption und Umsetzung von Maßnahmen gegen Antisemitismus zu beraten. Sie unterstützt außerdem die Schulen durch Beratungs- und Fortbildungsangebote, wie beispielsweise durch Webinare zum Thema Antisemitismus und die Fortbildungsreihe „Kompetent und konsequent gegen Antisemitismus“.

Auch die schulpsychologischen Beratungsstellen unterstützen die Schulen mit dem Einsatz von „Fachkräften für Systemische Extremismusprävention“ („SystEx“), die bei allen Anfragen zum Umgang mit Extremismus beraten.

Daneben bietet die Lehrerfortbildung viele Angebote der Weiterqualifikation. Lediglich beispielhaft genannt seien hier die Weiterqualifikation der Bezirksregierung Düsseldorf zu „Begegnungen mit jüdischem Leben in NRW“ und das Angebot der Bezirksregierung Münster „Erziehung nach Auschwitz“.

Um den Lehrkräften bereits während der ersten und zweiten Ausbildungsphase einen kompetenten Umgang mit dem Thema Antisemitismus zu vermitteln, wurde die Thematik als erforderliche Kompetenz in die Ausbildungsordnungen aufgenommen.

Das Thema Nahostkonflikt ist als Unterrichtsinhalt in den neuen Kernlehrplänen der Sekundarstufe I verankert, so beispielsweise im Kernlehrplan für die Sekundarstufe I Realschule für das Fach Geschichte. Dieser formuliert die Erwartung, dass die Schülerinnen und Schüler einen aktuellen Konflikt im Nahen Osten auf der Grundlage seiner historisch-wirtschaftlichen und -gesellschaftlichen Ursachen beurteilen sollen. Ähnlich formulierte Kompetenzerwartungen finden sich auch an allen weiteren Schulformen der Sekundarstufe I.

In Reaktion auf den Abschlussbericht des Georg-Eckert-Instituts mit dem Titel „Darstellungen der jüdischen Geschichte Kultur und Religion in Schulbüchern des Landes Nordrhein-Westfalen“ haben wir außerdem im Bereich der Lernmittelzulassung Anpassungen vorgenommen. Das übergreifende Kriterium, dass das Lernmittel frei von jeglicher Form von Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sein soll, ist explizit um den Prüfpunkt Antisemitismus ergänzt worden.

In diesem Zusammenhang hat Nordrhein-Westfalen zudem auf Ebene der KMK den länderseitigen Vorsitz in der von der Kultusministerkonferenz, dem Zentralrat der Juden in Deutschland und dem Verband Bildungsmedien eingesetzten Arbeitsgruppe „Judentum in Bildungsmedien“.

Das Ziel der Arbeitsgruppe besteht darin, in einer gemeinsamen Erklärung Kriterien für eine differenzierte Darstellung des Judentums und damit verbundener Themenbereiche in Bildungsmedien zu vereinbaren. Die Empfehlung richtet sich einerseits an die Verlage von Bildungsmedien und andererseits an Lehrkräfte, die diese und andere Medien auswählen und in ihrem Unterricht einsetzen.

Alle erwähnten Maßnahmen zielen darauf ab, die komplexen Themenfelder des Antisemitismus und des Nahostkonflikts in den Schulen auf differenzierte Weise zu vermitteln. Gleichwohl müssen wir uns aufgrund der aktuellen Ereignisse auch Gedanken dazu machen, ob wir die Vermittlung der deutschen Geschichte zum Antisemitismus im Unterricht zusätzlich nicht auch aus anderen Blickwinkeln betrachten sollten.  Insbesondere in Nordrhein-Westfalen leben wir in einer Migrationsgesellschaft. Das bedeutet, eine hohe Anzahl der Schülerinnen und Schüler in unseren Schulen hat keine deutschen Wurzeln, die bis in die Zeit des Holocaust zurückreichen; ein Aspekt, von dem wir prüfen sollten, wie wir ihn im Unterricht berücksichtigen.

Ein weiteres wichtiges Fundament, um dieses Ziel zu erreichen, ist eine nachhaltige Erinnerungs- und Gedenkkultur an den Schulen.

Gedenkstättenfahrten ermöglichen eine vielschichtige Auseinandersetzung mit der Frage, wie unsere Gesellschaft mit der historischen Verantwortung der Shoah heute umgehen kann. Zugleich vermitteln Gedenkstätten viel besser als jedes Schulbuch, welche furchtbaren Auswirkungen fremdenfeindliche und von Hass getragene Bestrebungen haben können. Daher fördern wir seit Jahren schulische Gedenkstättenfahrten und ermöglichen so vielen Schulen die Umsetzung schulischer Bildungsarbeit. 

Und für den Besuch eines Gedenkorts braucht es nicht immer eine weite Reise. Denn kleinere Gedenkorte sind überall in Nordrhein-Westfalen zu finden, wie beispielsweise Stolpersteine, Gräber von Opfern, aber auch Synagogen. Sie bieten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, einen unmittelbaren Bezug zu ihrer eigenen Lebenswirklichkeit herzustellen und sich die Frage zu stellen, was an ihrem eigenen Lebensort geschehen ist.

Doch um dem Antisemitismus tatsächlich wirksam und nachhaltig entgegentreten zu können, sind Erinnerung und theoretisches Wissen allein nicht ausreichend. Viel wichtiger ist es, für junge Menschen Begegnungsräume zu schaffen, in denen sie sich mit unterschiedlichen Kulturen vertraut machen können.

Denn Antisemitismus ist vor allem in der Angst vor dem Fremden begründet. Wenn ich hingegen mit den Gepflogenheiten einer anderen Kultur vertraut bin, dann können sie mich nicht länger verunsichern oder verängstigen. Und wo Unsicherheit und Ängste fehlen, da fehlt es auch an einem Nährboden für Hass und Gewalt.

Daher müssen Begegnungen mit der jüdischen Kultur und dem jüdischen Leben zum festen Bestandteil in unseren Schulen gehören. Bereits seit vielen Jahren führen viele Schulen in Nordrhein-Westfalen Begegnungsmaßnahmen im Rahmen von Schulpartnerschaften in Israel durch. Der gemeinsame Austausch der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Lehrkräfte untereinander, fördert nachhaltig das gegenseitige Verständnis.

Damit dies gelingt, unterstützen wir die nordrhein-westfälischen Schulen mit Veranstaltungen und Informationen (z.B. Newsletter, Schulmail) dabei, Schulpartnerschaften sowohl online als auch in Präsenz anzubahnen, aufzubauen bzw. bestehende zu erhalten und zu vertiefen.

In den Schulpartnerschaften und den regelmäßigen Austauschen liegt noch ein weiterer, sehr wesentlicher Aspekt: Schülerinnen und Schüler haben auf diese Weise die Möglichkeit, jüdische Mitmenschen nicht länger als Opfer des NS-Regimes wahrzunehmen, sondern als Mitglieder einer vielfältigen und lebendigen Kultur – eine Sichtweise, die für ein offenes Miteinander unerlässlich ist.

Und nicht zuletzt ist die wirksamste Prävention gegen fremdenfeindliche und antisemitische Bestrebungen eine umfangreiche Demokratiebildung. Und auch hier gilt: Das theoretische Wissen über die Staatsform und ihre Bedeutung auch in Abgrenzung zu anderen Staatformen ist das eine – doch die eigentlichen Grundwerte eines freiheitlich-demokratischen Zusammenlebens können nur dann wirksam vermittelt werden, wenn sie in den Schulen auch gelebt werden.

Schülerinnen und Schüler müssen auch die Kompetenzen erwerben, ihre demokratischen Rechte ausüben zu können. Sie müssen die Erfahrung machen dürfen, dass ihre Meinung von Bedeutung ist und dass sie ohne Gewalt eine ganze Menge bewirken können.

Unsere Schulen sind schon heute Orte, an denen Demokratie gelernt und gelebt wird. Dies fängt bereits mit den Schülervertretungen oder auch den Streitschlichterinnen und Streitschlichtern an. Darüber hinaus sind vielfältige Programme wie beispielsweise der Wettbewerb „Demokratisch handeln“ oder auch „Jugend debattiert“, Ausdruck einer pluralen, meinungsoffenen Schulkultur, die die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Positionen fördert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen, wir haben in unseren Schulen schon gutes Material und gute Strukturen für die Vermittlung von demokratischen Werten, für Respekt, für Wertschätzung und gegen Antisemitismus. Gleichwohl müssen wir uns auch vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse immer wieder fragen, ob wir nachsteuern müssen. Daher werden wir uns in den nächsten Monaten sehr intensiv mit der Frage befassen, wie die an den Schulen bereits bestehenden Strukturen zur Förderung der Demokratiekompetenz und der Wertevermittlung weiter ausgebaut und intensiviert werden können.

Denn unsere Schulen sind und bleiben wichtige Orte der Wertevermittlung; unsere Schulen sind und bleiben Orte der Offenheit und Toleranz gegenüber allen Schülerinnen und Schülern, unabhängig von ihrer sozialen, kulturellen oder religiösen Herkunft.