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Staatssekretär Richter nimmt an einem Gespräch mit Jugendlichen, die sich als Medienscouts engagieren, teil.

„Jugendliche in ihren Gefühlen ernst nehmen“

Mehr als 6700 Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen arbeiten als Medienscouts und helfen Mitschülerinnen und Mitschülern beim Erkennen von Fake News und Desinformationen in sozialen Medien. Etwa 200 der Scouts trafen sich jüngst auf der Medienscouts Convention in Düsseldorf. Hier erzählen Scouts und Beratungslehrkräfte über ihre Arbeit.

Viele der Bilder und Videos, mit denen Schülerinnen und Schüler konfrontiert sind, lassen die jungen Menschen verwirrt oder gar verängstigt zurück. Ist das, was dort gezeigt wird, echt? Sind die Bilder aus Krisen- und Kriegsgebieten real oder manipuliert? Sind die im Hochglanzmodus präsentierten Produkte wirklich so gut? Die makellosen Menschen wirklich so schön? In solchen Situationen braucht es Lehrerinnen und Lehrer, die die Ruhe behalten und das Gezeigte einordnen. Und gut geschulte Jugendliche wie Lena Löbbert und Sophie Trachte mit ihrer cleveren Strategie namens P.L.U.R.V.

Die fünf Buchstaben stehen für fünf Fragen, die sich Lena und Sophie stellen: Werden auf den Bildern oder Videos Pseudoexperten gezeigt? Erkennt man Logikfehler? Unerfüllbare Erwartungen? Rosinenpickereien? Verschwörungserzählungen? P.L.U.R.V. eben. Lena Löbbert und Sophie Trachte, 17 und 15 Jahre jung, checken mit Hilfe dieser Methode die Inhalte sozialer Medien. Sie sind Medienscouts an der Gesamtschule Essen-Borbeck. Die beiden jungen Frauen helfen anderen jungen Menschen dabei, zwischen Fake News und Fakten zu unterscheiden.

Das Medienscout-Projekt von Nordrhein-Westfalen, finanziert vom Schul- und Bildungsministerium und organisiert von der Landesanstalt für Medien, ist das einzige peer-to-peer-Netzwerk dieser Art in Deutschland. Die Idee: Schülerinnen und Schüler unterstützen Schülerinnen und Schüler. Kommunikation auf Augenhöhe. Bislang wurden an über 1.000 Schulen mehr als 6.700 Schülerinnen und Schüler als Medienscouts qualifiziert und rund 2.800 Beratungsfachkräfte ausgebildet.

Das Medienscout-Programm wird ausgebaut

Diese Zahlen zeigen: Das Medienscout-Programm ist ein Erfolg. Und es wird ausgeweitet. „Wir möchten gemeinsam mit der Landesanstalt für Medien NRW das Angebot perspektivisch ausbauen und es in allen Sek-I-Stufen anbieten“, sagt Dr. Urban Mauer, Staatssekretär im Schul- und Bildungsministerium. So sollen die vielen Bilder und Videos, die via Smartphone in die Schullandschaft hineinfließen, noch besser eingeordnet werden können. Die Medienscouts seien schon jetzt „aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken“, sagt der Staatssekretär, denn sie helfen dabei, Medienkompetenz auszubilden: „Diese ist eine Schlüsselkompetenz für ein selbstbestimmtes aktives Leben in einer zunehmend digitalisierten Welt. Medienkompetenz verhindert aber auch, dass Menschen oder sogar ganze Gesellschaften manipuliert und Demokratie gefährdend beeinflusst werden.“ Dr. Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien, fügt hinzu: „Das Leben eines Teenagers ist kompliziert genug. Wer hat da schon Lust, sich obendrein auch noch Erwachsenen erklären zu müssen, wenn es eh gerade nicht so läuft, wie es soll. Das ist das Erfolgsgeheimnis hinter dem Angebot und macht die Arbeit der Medienscouts so wichtig für uns.“

Betroffenen Orientierung bieten

Diese freiwillige Arbeit erledigen Lena Löbbert und Sophie Trachte mit großer Gelassenheit und stets ansprechbar. „Erst einmal ist es wichtig, Betroffenen eine Orientierung zu bieten. Sie müssen wissen, wen sie ansprechen können, wenn sie eine mögliche Fake News erhalten haben“, erzählt Lena, „im Gespräch achten wir dann darauf, die Jugendlichen in ihren Gefühlen ernst zu nehmen, die die Fake News ausgelöst haben, und ihnen Strategien und Perspektiven aufzuzeigen.“ Relevant „zum Entlarven von Desinformationen“ sei es, die Taktiken zu kennen, die die Absender anwenden, ergänzt Sophie. Hier kommt P.L.U.R.V ins Spiel. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern, welche die Inhalte erhalten haben, steigen die beiden anhand der fünf Kriterien in die Detailprüfung ein.

Es gibt weitere Hilfsmittel, um Falschinformationen zu erkennen. Welche das beispielsweise sind, haben Jannik Werner und Simon Sasse jüngst auf der Medienscout-Convention gezeigt, bei der mehr als 200 nordrhein-westfälische Schülerinnen und Schüler unter dem Motto „Fakt versus Fake“ in Düsseldorf zusammenkamen. Werner ist Journalist und Sasse Informatiker. Gemeinsam haben sie eine Quiz-App entwickelt, in der man Schlagzeilen präsentiert bekommt und entscheiden muss, ob die Dinge wirklich so passiert sind, wie es in den großen Lettern suggeriert wird. Diese App demonstrierten die beiden in einem Workshop – zusammen mit vielen Beispielinhalten zum Überprüfen.

Faktenchecken mit den Simpsons

„Es kursiert beispielsweise in den sozialen Medien das Gerücht, dass in einer Folge der Fernsehserie `Die Simpsons` die Implosion des U-Boots vorhergesagt wurde, das vor einigen Monaten vom Tauchgang zum Wrack der Titanic nicht mehr zurückkehrte“, erzählt Yannik Werner. Solche Gerüchte tauchen seit vielen Jahren auf, die gelben Zeichentrickstars aus Springfield sollen immer wieder schlagzeilenträchtige Ereignisse antizipiert haben. „Die Medienscouts sollten nun dieses U-Boot-Gerücht prüfen“, sagt Jannik Werner. Google bietet die Möglichkeit, in einer Rückwärtssuche zu recherchieren, in welchen Kontexten Bilder bereits aufgetaucht sind. Diese führen dann unter anderem zu Zusammenfassungen von Simpsons-Folgen. Dazu existieren Tools, mit denen man die Authentizität von Bildern überprüfen kann. Die Medienscouts verfolgten diesen Rechercheweg mit einem U-Boot-Bild der Simpsons und kamen zu dem Ergebnis: alles falsch. Bart & Co haben so etwas nie vorhergesagt. Dies ist ein eher lustiger Fall. Ähnlich aber laufen Recherchen bei gravierenden Desinformationen ab, die weltpolitisch bedeutsame Ereignisse betreffen und Meinungen im großen Stil manipulieren sollen.

Beratungslehrkräfte schaffen Rahmenbedingungen

Die Medienscouts müssen sich solchen Fragen nicht alleine stellen. Die vielen Beratungslehrkräfte unterstützen sie dabei. „Wir koordinieren Termine, planen Fortbildungsveranstaltungen und Fahrten und sind nicht zuletzt und vor allem immer verlässliche Ansprechpartner für unsere Scouts, die viel ihrer privaten Zeit in das Projekt investieren“, berichtet Vera Servaty, Beratungslehrkraft an der Gesamtschule Essen-Borbeck. Die Lehrkräfte und die Scouts seien Teams, die sich für „mehr digitale Zivilcourage und ein digitales, demokratisches Miteinander“ einsetzen. „Gleichzeitig sind wir natürlich auch Ansprechpartner für Kolleginnen und Kollegen sowie Erziehungsberechtigte. Wir kümmern uns auch hier um Fragen und Sorgen rund um den digitalen Raum und sorgen natürlich auch wieder für die notwendige Vernetzung mit unseren Scouts“, sagt Vera Servaty.

Staatssekretär Dr. Urban Mauer ist froh, dass die Lehrerinnen und Lehrer an der Seite ihrer Schülerinnen und Schüler stehen, denn oft gehe es um den Umgang „mit hochsensiblen, verstörenden Bildern“.  Medienscouts und Beratungslehrkräfte leisteten einen wesentlichen Beitrag dazu, „dass junge Menschen besser lernen, mit den Chancen, aber auch mit den Herausforderungen der digitalen Welt souverän und kritisch umzugehen.“