Logo Bildungsland NRW - Bildungsportal
Geöffnetes Buch, aus dem Buchstaben herausfliegen

Theoretische Erläuterungen

Was ist Antisemitismus?

Antisemitismus hat zahlreiche Erscheinungsformen und ist ein in allen gesellschaftlichen Bereichen, Milieus und politischen Lagern vorzufindendes Problem. Er richtet sich immer konkret und primär gegen Jüdinnen und Juden, für die Antisemitismus eine potentiell alltagsprägende Erfahrung ist. Antisemitische Einstellungen sind geprägt von Vorurteilen und Emotionalität bis hin zu Faktenresistenz und Hass.

Die von der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) verabschiedete internationale Arbeitsdefinition von Antisemitismus liefert hier eine wertvolle Orientierung und ist nützliches Instrument bei der Einordnung von Fällen. Die internationale Arbeitsdefinition von Antisemitismus lautet:

"Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen." (https://www.holocaustremembrance.com)

Um Antisemitismus früh erkennen und so besser bekämpfen zu können, ist es wichtig, die Gesellschaft und staatliche Organe dafür zu sensibilisieren, was als Meinungsäußerung toleriert werden kann und wo die Grenze zu Antisemitismus überschritten wird. Antisemitismus beruht nicht auf dem realen Verhalten von Jüdinnen und Juden oder jüdischen Kollektiven wie dem Staat Israel, sondern auf Projektion auf Jüdinnen und Juden, oftmals verbunden mit einer falschen, vereinfachenden und personifizierenden Erklärung der Komplexität der Welt.

Antisemitismus bietet ein allumfassendes System von Vorurteilen und (Verschwörungs-) Mythen, die in ihrer konkreten Ausformulierung wandelbar sind und ein potentiell in sich geschlossenes Weltbild ermöglichen.

Was sind die häufigsten Formen von Antisemitismus, denen ich in der Schule begegne?

Jüdinnen und Juden sind heute mit sämtlichen Erscheinungsformen des Antisemitismus konfrontiert, sowohl mit tradiertem Antisemitismus, der direkte Bezüge zum Holocaust und Nationalsozialismus aufweist, als auch mit dem in der Gegenwart besonders verbreiteten israelbezogenen Antisemitismus. Den Antisemitismus nur als etwas Historisches zu betrachten, kann leicht dazu führen, dass aktuelle Übergriffe nicht erkannt, bagatellisiert oder ignoriert werden.

Der israelbezogene Antisemitismus ist aktuell die häufigste Form des Antisemitismus. Bei ihm besteht eine Verbindung aus Faktenresistenz und hoher emotionaler Aggressivität, gerade wenn es konkret um den Verlauf des arabisch-israelischen Konfliktes geht oder die Motivation der beteiligten Akteure. Dabei spielt die Verbindung zu alten antijüdischen Motiven in der verzerrten Darstellung Israels eine bedeutende Rolle, sei es textlich oder in Bildern. Diese antijudaistischen Motive verschmelzen mit dem modernen Antisemitismus. Der israelbezogene Antisemitismus ist zudem anschlussfähig für eine vereinfachende Einteilung von Menschen in Gut und Böse (Näheres im Abschnitt „Was muss ich bei der Thematisierung des Nahostkonflikts im Unterricht beachten?“).

Eine zweite, häufig anzutreffende Form ist der islamische Antisemitismus, welcher negative, antijudaistische Zuschreibungen aus dem Koran und der islamischen Überlieferung mit modernen antisemitischen Narrativen und Verschwörungserzählungen vereint, die teilweise europäischen Ursprungs sind und Bilder des christlichen Antijudaismus in sich aufgreifen. Das Judenbild des muslimischen Antijudaismus unterscheidet sich dabei grundlegend von dem des christlichen Antijudaismus: Weil Mohammed in der Lage war, die Jüdinnen und Juden von Medina zu vertreiben und Hunderte von ihnen zu töten, pflegten Musliminnen und Muslime auf „die Juden“ herabzublicken. Im Koran finden sich antijudaistische Verse bzw. einzelne Sätze aus den Lebensüberlieferungen des Propheten Mohammed, die Juden als Feinde beschreiben oder als Tiere abwerten.

In der vormodernen islamischen Geschichte gab es allerdings keine tief verwurzelte Judenfeindschaft, die mit dem vormodernen christlichen Antijudaismus vergleichbar gewesen wäre. Im christlichen Antijudaismus spielen mittelalterlich-christliche Zuschreibungen oder Vorwürfe gegen Jüdinnen und Juden (Wasser- oder Brunnenvergiftung; intendierter Kindsmord, um das Blut von Kindern zu religiös-rituellen Zwecken zu nutzen: die Ritualmordlegende) eine wesentliche Rolle.

Der bis heute wirkmächtige religiöse Antijudaismus, also die christliche und islamische Judenfeindschaft, ist in die modernen Formen des Antisemitismus tradiert worden. Jahrhundertealte antisemitische Stereotype werden darüber hinaus auf den Staat Israel übertragen. Als ein weiteres Element tritt die Vorstellung einer jüdischen Weltherrschaft hinzu, etwa in der Vorstellung, die israelische Regierung lenke die Geschicke der Welt oder habe die Absicht, die islamischen Staaten zu erobern und zu unterdrücken.

Die Charta der Hamas ist ein Dokument des islamischen Antisemitismus, welche vor dem Hintergrund einer islamistischen Ideologie das Existenzrecht Israels ablehnt und einen eigenen islamischen Gottesstaat an Stelle Israels fordert. Hier geht es also nicht um eine friedliche Lösung für einen Territorialkonflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn.

Der aktuelle gegenwartsbezogene Antisemitismus hat seine Ursache vor allem in der Ablehnung des Staates Israel. Insbesondere die Abgrenzung von zulässiger Kritik am Handeln der israelischen Regierung und israelbezogenem Antisemitismus scheint im Alltag manchmal unklar zu sein.

Verschwörungserzählungen, die vor allem die jüdische Bevölkerung betreffen, sind weit verbreitet. Als Konsequenz aus den Verschwörungserzählungen erscheint es radikalisierten und extremistischen Strömungen unumgänglich, dass Juden und Jüdinnen in einem Akt vermeintlicher „Notwehr“ verschwinden, also vernichtet werden müssen. Dies ist in der antisemitischen Phantasie begründet, die Juden würden heimlich die Geschicke der Welt lenken. In dem bis heute einflussreichen antisemitischen Pamphlet „Die Protokolle der Weisen von Zion“ wird den Juden eine allumfassende Macht zugeschrieben, so dass sie die unterschiedlichsten und zum Teil gegensätzlichen politischen Bewegungen - von Demokraten über Kommunisten bis hin zu Faschisten - kontrollieren und für ihre Zwecke nutzen würden.

Auch moderne Ritualmordlegenden greifen althergebrachte Vorwürfe auf, die Juden seien Brunnenvergifter und formen Sie in ein modernes Gewand: Ein Beispiel ist der falsche Vorwurf, Israel vergifte das Wasser oder handele mit menschlichen Organen, eine Variante der Ritualmordlegende.

Anhand des sogenannten 3D-Tests kann legitime Kritik an der Politik der Regierung Israels von Antisemitismus unterschieden werden. Dies wird anhand von drei Kriterien überprüft: Aussagen sind dann antisemitisch, wenn sie Israel dämonisieren, delegitimieren oder doppelte Standards anwenden. Für ausführlichere Infos zum 3D-Test und seiner kritischen Erweiterung durch die Antisemitismusforschung 

Die Amadeu Antonio Stiftung hat eine Broschüre herausgegeben, mit Hilfe derer versucht wird, auf das komplexe Thema „Antisemitismus“ möglichst einfache Antworten zu geben. Dort finden sich u.a. Erläuterungen folgender Formen von Antisemitismus: Antijudaismus, moderner Judenhass, sekundärer/ Post-Shoa-Antisemitismus, struktureller Antisemitismus, israelbezogener Antisemitismus.

Die Handreichung „Antisemitismus – Geschichte und Aktualität“ des Anne Frank Zentrums bietet pädagogischen Fachkräften Ansatzpunkte zum Umgang mit Antisemitismus in der eigenen pädagogischen Arbeit. Dort finden sich u.a. Erläuterungen zu Erscheinungsformen des Antisemitismus (vgl. S. 9).

„Die Juden betreiben einen Völkermord in Palästina“, „Zionisten sind Faschisten“, „Israel ist ein Kinder-Mörder“, „Israel betreibt permanent Holocaust an den Palästinensern“

Problem

In den genannten Beispielen wird auf antisemitische Stereotype (Ritualmord; Juden als das Böse schlechthin) zurückgegriffen und die Schoah relativiert. Israel als Staat wird mittels impliziter Täter-Opfer-Umkehr (die Opfer der Schoah werden zu vergleichbaren Tätern gemacht) dämonisiert. Alle Beispiele zeigen, dass ältere antijudaistische Vorstellungen mit israelbezogenem Antisemitismus und modern-antisemitischen Vorstellungen vermischt werden.

Was kann ich als pädagogische Fachkraft tun?

Den Schülerinnen und Schülern muss der menschenverachtende, antisemitische Charakter der Aussagen und des Verhaltens verdeutlicht werden, indem den Schülerinnen und Schülern die Bedeutung und Wirkung der Aussagen erklärt wird. 

Greifen Sie das Thema Nahostkonflikt im Unterricht auf. Beraten Sie sich hierfür mit Kolleginnen und Kollegen und klären Sie gemeinsam die Zusammenhänge und wichtige Fragen, die Sie selbst zu dem Thema haben. 

Verdeutlichen Sie den Schülerinnen und Schülern den antisemitischen Charakter der Aussagen. Geben Sie den Schülerinnen und Schülern in der Unterrichtssituation auch Raum für Nachfragen und Gespräche. Fragen Sie im Gespräch nach den Ursprüngen der Meinung und korrigieren Sie falsche Informationen. Verweisen Sie ggfs. auch auf die Grundwerte, die im Erziehungsauftrag der Schule liegen und unter anderem Toleranz, Würde und Respekt umfassen und ausnahmslos für alle Menschen uneingeschränkt gelten müssen.